margin-right: 20px; margin-bottom: 10pxSeit 2011 wählen die Gesellschaft Deutschsprachiger Odonatologen (GdO) und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die „Libelle des Jahres“, um auf die Vielfalt der Arten und ihre Bedrohung aufmerksam zu machen. Von den 81 einheimischen Libellen stehen 36 auf der aktuellen Roten Liste (Fassung von 2015). BUND und GdO kürten für 2017 die Gemeine Keiljungfer (Gomphus vulgatissimus) zur Libelle des Jahres. Sie gehört zur Familie der Flussjungfern (Gomphidae), deren Arten sich dadurch auszeichnen, dass ihre Komplexaugen – im Gegensatz zu allen anderen Großlibellen – sich vorn nicht berühren. Die Gemeine Keiljungfer ist durch eine schwarz-gelbe Körperzeichnung charakterisiert – wie die ähnlichen Arten Asiatische und Westliche Keiljungfer (G. flavipes, G. pulchellus), von denen sie sich durch ihre rein schwarzen Beine unterscheidet. Eventuell könnte man sie noch mit der in gleichen Habitaten lebenden Grünen Flussjungfer (Ophiogomphus cecilia) verwechseln, die jedoch kräftig grün gefärbt ist. Gomphus vulgatissimus besiedelt saubere, sauerstoffreiche Fließgewässer von schmalen, meist vegetationsreichen Bachläufen bis zu den großen Hauptläufen in den Stromtalauen.

Auch größere Stillgewässer mit Brandungszone oder durchströmten Abschnitten sucht sie auf. Ihre Larven bewohnen die Sohle, wo sie – in das Substrat eingegraben – auf Nahrung lauern, die sie mit ihren umgewandelten Mundwerkzeugen, der sogenannten Fangmaske, ergreifen. Für die Eignung eines Gewässers als Larvenlebensraum sind neben dem Substratangebot eine ausreichend hohe Gewässergüte und ein naturnahes Abflussregime bedeutsam. Die Entwicklung der Larven kann unterschiedlich lange dauern und ist von der Wassertemperatur und vom Nahrungsangebot abhängig. Meist benötigen die Larven von der Eiablage bis zum Schlupf zwei bis drei Jahre. Die Gemeine Keiljungfer schlüpft sehr synchron ab Ende April oder Anfang Mai an den Ufern ihrer Gewässer, gehört also zu den frühen Arten. Zeugnis vom Schlupf geben ihre Exuvien (Larvenhäute), die man gewöhnlich waagerecht auf Steinen, angeschwemmten Holzstücken oder der Vegetation findet. Manche Individuen wandern weiter und schlüpfen an Bäumen, wo sie vom Wellenschlag nicht mehr erreicht werden (Risikovermeidungsstrategie). Ab Mitte Juli fliegen nur noch einzelne Alttiere, ab Mitte August ist die Art meist nicht mehr zu beobachten. Gomphus vulgatissimus steht stellvertretend für eine Gruppe von Libellen, die an Fließgewässer gebunden sind und in den letzten zwei Jahrzehnten in Deutschland eine positive Bestandsentwicklung zeigten – ein Indiz dafür, dass die Anstrengungen und Investitionen zur Reinhaltung und Renaturierung unserer Bäche und Flüsse sinnvoll und erfolgreich waren. Die Gemeine Keiljungfer galt, wie die meisten anderen Fließwasserarten, vor drei bis vier Jahrzehnten noch in vielen Landesteilen als selten und gefährdet, mancherorts sogar als vom Aussterben bedroht. Ihre Bestände haben sich aber infolge der Wasserreinhaltepolitik und Renaturierungsmaßnahmen wieder gut erholt, sodass die Art in Deutschland nicht mehr als gefährdet gilt. Eine erfreuliche Entwicklung!

Dennoch ist auch zukünftig darauf zu achten, dass Fließgewässer nicht mehr ausgebaut oder fischereilich übernutzt, übermäßig mit Nährstoffen, Bioziden und Feinmaterial (Eutrophierung, Zusetzen des Interstitials) belastet werden. Versiegelungen, die bei heftigen Niederschlägen zu starken Abflussspitzen und zum Verdriften der Larven führen, wirken sich ebenfalls negativ aus. Schließlich sind Auswirkungen des Klimawandels, die Veränderun- gen der Schlupf-Phänologie nach sich ziehen können, zu beobachten. Nicht zuletzt ist zu prüfen, ob und wie sich Neozoen (Signalkrebs, Kalikokrebs) auf die Bestände der Libellen auswirken. Solche Faktoren könnten den Status von O. vulgatissmus wieder beeinträchtigen, was die Notwendigkeit unterstreicht, Rote Listen in nicht allzu langen Abständen neu zu erstellen und unsere Flora und Fauna permanent zu überwachen. Jürgen Ott