Das als Forschungsschiff umgerüstete Segelboot „Tara“ fuhr von 2009 bis 2012 durch alle Welt­meere und legte 115.000 ­Kilometer zurück.
An 130 Stellen nahmen die begleitenden Forschergruppen Planktonproben. Das beste dabei zustande gekommene Fotomaterial findet sich in diesem Buch.
Das Werk beginnt mit einer allgemeinen Einführung zur „Planktologie“. Auf elf Seiten liefert es eine Übersicht zum Thema. Hier will der Autor aber zu viel. Auf zu wenig Platz verdichtet er Informationen in einer Weise, dass der rote Faden im Gewirr der angerissenen Einzelthemen nicht mehr erkennbar ist.
Ein Plankton-Mandala, die Dynamik der Planktonverteilung in den Ozeanen, die Evolution auf der Erde, der Stammbaum des Lebens, Taxonomie und Phylogenetik; ausnahmslos wichtige Themen, alle Beispiele hervorragend illus­triert. Doch der Leser bleibt etwas ein­geschüchtert zurück.
Auf Seite 18 findet sich dann auch ein erster „QR-Code“, dessen Scan zur Homepage des Projekts führt. Auf www.planktonchronicles.org sind in französischer Sprache vertie­fende Infos, Bilder und Videos zu finden. Leider handelt es sich um für die ­Nutzung mit Smartphones nicht optimierte Inhalte.
Über eine hervorragende Reproduktion einiger Zeichnungen aus Ernst Haeckels Radiolarien-Atlas von 1862 geht es anschließend in die Darstellung der Fundorte und eine Erläuterung der einzelnen Organismengruppen. Der Blick auf das bebilderte Inhaltsverzeichnis auf den Seiten zwei und drei ­dokumentiert die behandelte Vielfalt.
Sie beginnt mit den einzelligen Formen. Am Anfang stehen die Bakterien, Archaebakterien und Viren. Ihnen folgen die fotosynthetisch aktiven Einzeller und die tierischen Bewohner des Planktons. Kleine und kleinste Formen werden in diesen ­Kapiteln in hervorragenden Darstellungen gezeigt.
Rippenquallen und Quallen schließen sich an, teils mehre­-re Meter große Giganten des Planktons. Denn der von Victor Hensen im Jahr 1887 formulierte ­Begriff bezeichnet sämtliche Organismen, die von Wasserströmungen verdriftet werden und daran aktiv nur ­wenig oder gar nichts än­-dern können.
Der „Gigantismus“ im Plankton wird mit den Staatsquallen erreicht, mit bis zu 30 Meter messenden Tentakeln die längsten Or­ganismen der Ozeane. Eine wunderbare Aufnahme der Art Nanomia cara aus dem Golf von Maile findet sich
auf Seite 113.
Aber auch schon vorher gibt es wunderbare Bilderfolgen zu Entwicklungszyklen. Einzigartig sind die auf den Seiten 108 und 109 dokumentierten Fotos von der Jagd einer Quallenart (Li­riope tetra­­phylla): Sie überfällt ­einen kleinen Fisch, kämpft mit einem Artge­nossen um ihre Beute und stößt die aus­gesaugte leere Hülle zurück in die so un­geheuer vielfältige Plank­tonsuppe …
Ab Seite 133 folgen die „Krebse und Weichtiere“ auf einer Tour durch die absonderlichsten Formen und Farben. Vorbei an Phronima auf den Seiten 154 und 155 – angeblich das Vorbild für das „Alien“ in der gleich­nami­gen Kinofilmserie – geht es auf Seite 164 zu den Schnecken, auch hier wieder un­gewöhnlichste und unbekannte Arten. Oder wussten Sie, dass die nackte Flügelschnecke Clione ­limacina auch „See-Engel“ genannt wird und in den Polarmeeren gnadenlos Jagd auf an­dere Schnecken macht?
Sinnfreies Wissen, sicher. Aber der Beitrag der Biologie zum allgemeinen Bildungskanon wird immer wieder unterschätzt, und die Bilder in diesem Buch er­reichen ohne Zweifel die Qua­lität und den Anspruch einer ­Sinfonie oder eines ­Gedichts.
Und wenn dann die Salpen, Tonnensalpen und Feuerwalzen erreicht sind, erfährt Homo sapiens, welche nächsten Verwandten er im Meer unter den „Gallert­tieren“ hat. Wer sich an Frank Schätzings Roman „Der Schwarm“ erinnert, wird hier koloniebildende Formen kennenlernen, bei denen die Entwicklung eines kollektiven Bewusstseins nicht überraschen würde.
Warum allerdings die nachfolgende Gruppe der Appendikularien als „Kaulquappen“ übersetzt wird, erschließt sich mir nicht; dieser Fauxpas kann zu Fehlvorstellungen führen.
Ein kurzer Epilog entlässt den Leser zurück ins wirk­liche Leben.
Insgesamt bietet „Plankton“ also ein Bilderlebnis der ganz besonderen Art, ein ­Lesegenuss ist es indes nicht. Die kurzen Texte sind oft überfrachtet mit Fach­vokabular, und manche Formulierung oder Übersetzung ist missverständlich geraten. Ein Beispiel ist die immer wieder wechselnde Beschreibung und Definition von Symbiosen.
Mein erstes Planktonbuch bekam ich im Alter
von 13 Jahren. Es war das
bis heute lesenswerte Bändchen „Treibende Welt“ von James Frazer, in Deutschland 1965 erschienen. Es musste mit einfarbigen Strichzeichnungen auskommen, erzählte aber die großartige Naturgeschichte des Planktons und die nicht minder faszinierende Geschichte seiner Erforschung verständlich und spannend. Das hier vorgestellte Buch liefert ein halbes Jahrhundert später den „Ausstellungskatalog“ mit den Gemälden zum ­Thema.
Wer also ein wahres Kunstwerk bewundern will, der sei wärmstens zur Lek­türe aufgefordert. Es wäre einfach zu schade, wenn nur Spezialisten diese Opulenz der Biodiversität wahrnehmen würden.
Hans-Peter Ziemek