Bei Stefan-Andreas Johnigk hingegen begegnen ­einem nach einem ersten kleinen Schreck – „Menschen nutzen Tiere. Daran ist nichts Verwerfliches, betrachtet man den Menschen nüchtern mit den Augen eines Biologen“ (als sei die Biologie plötzlich für eine ethische Bewertung zuständig und die philosophische Ethik nicht nüchtern) – dann doch noch schöne ­Ansätze und vernünftige Ideen: „Nicht der Grad der Bewusstheit, sondern das Maß an Leidensfähigkeit sollte uns leiten.“ Oder: „Was ich mir für alle Wesen wünsche, ist ein echtes ­Leben vor dem Tod.“ Dem kann man pro­blemlos zustimmen, auch wenn sich beim zweiten Zitat die Frage stellt, ob denn ein vermeidbarer Tod nicht unabhängig davon, wie das ­Leben davor war, einen negativen Wert besitzt.
Apropos „sich stellende Fragen“: Solche werden dankenswerterweise zu vielen Essays des Buchs als Kommentar explizit nachgereicht. So gelangt der ­Leser zu weiterführenden Denkanstößen, die die Lektüre oftmals durchaus be­reichern. Ein gelungener Einfall, um dem Grundgedanken des Buchs, nicht eine bestimmte Meinung zu präsentieren, sondern die Meinungsvielfalt der Debatte hervorzu­heben, gerecht zu werden. Ähnliches passiert wohl im Internetforum zu dem Werk, das mir zwar leider nicht ­zugänglich ist, aber dennoch eine originelle, gut ergänzende Idee zu sein scheint.
Zurück zum Buch: Bei Markus Ritter wartet erneut der naturalistische Fehlschluss auf den Leser, nun aber nahezu unverblümt ausformuliert: „Natürlich dürfen wir das [Tiere nutzen; Anmerkung des Rezensenten]! Der Mensch ist Teil der Natur, und in der Natur gibt es solche Fragen nicht.“
Auf die prinzipielle Unmöglichkeit des Schließens von einem Naturzustand auf einen ethisch wünschenswerten Soll-Zustand wurde vielfach hingewiesen. Nicht unerwähnt bleiben soll hier aber die logische Konsequenz dieses Arguments: Wenn natürliche Dinge per se in Ordnung sind, wie verhält es sich dann mit den Vergewaltigungen im Tierreich? Menschen sind nach der Ansicht der Vertreter dieses Schlusses ja auch nur Bestandteil der Natur, sodass – streng genommen – auch Vergewaltigungen unter Menschen legitimiert würden, wovon sich aber vermutlich (und zum Glück) die so Argumentierenden ­distanzieren würden.
Weiter hinten im vom Pro zum Kontra gegliederten Buch finden sich dann die Gegenstimmen zu den Beiträgen im vorderen Drittel, nämlich gut argumentierte, den Fragen gerecht wer­dende Beiträge – wie der von Erich Gysling, der nebenbei auch eine wohltu­ende, richtige Erwiderung auf be­-sagten Fehlschluss liefert: „Doch Raubtiere, auch un­sere Hauskatzen, haben nun mal nicht das Gewissen, das uns, die Menschen, auszeichnet, belastet und verpflichtet (verpflichten sollte). Deshalb ist der Verweis auf die Natur ­obsolet.“
Vor allem bringt er aber auch weitere wirklich re­levante Denkanstöße ins Spiel, die im ersten Drittel des Buchs leider etwas zu kurz kommen, beispielsweise den Verweis auf die öko­logischen Hintergründe des Fleischkonsums und dessen negative Folgen über das Leid der Tiere hinaus.
Ebenso wertvoll sind die Ausführungen Renato Pichlers, der eine überraschend einfache und dennoch überzeugende Antwort auf die so komplex erscheinende Frage des Buchtitels hat: „Würde das Tier der Nutzung zustimmen, wenn man es fragen könnte? Wenn ja, steht dem Nutzen kaum etwas im Wege.“
Und wenn dann ein ­weiterer Autor – Jonathan Balcombe – in die gleiche Kerbe schlägt und seine ebenfalls stark reduzierte und dennoch schlüssige Antwort präsentiert – „The criterion of acceptability for me comes down to two simple questions: 1) does the animal experience avoid­able suffering?, and 2) does the animal experience a good quality of life? If the ans­wer to the first question is “yes,” or to the second is “no,” then it is not accept­able use.“ –, fragt man sich schon ein bisschen, ob die aufwendigen Argumentationen vor allem zu Beginn des Werks nicht vor allem kaschieren sollen, was eigentlich jedem klar ist, aber eine bislang nicht vorhandene Bereitschaft der Umstellung erfordert: Dass Tierleid in vielen Fällen vermeidbar wäre und die Ethik, denkt man sie konsequent, dringend verlangt, dem gerecht zu werden.
Hagen Rether, der Essener Kabarettist, hat nämlich schon Recht, wenn er sagt, dass sich das einzige Argument der fleischessenden Menschen letztendlich auf „weil’s halt so lecker ist“ ­herunterbrechen lässt, und das taugt nun wirklich kaum bis gar nicht für eine ethische Diskussion. Ich für meinen Teil fühle mich durch das Buch jedenfalls in meiner vegetarischen Lebensweise bestärkt und werde wohl alsbald einen erneuten Anlauf in Richtung Veganismus anstreben. Danke, Herr Studer!

Arne Stawikowski