margin-right: 20px; margin-bottom: 10pxVon John Steinbeck. 368 Seiten, Leineneinband mit Lesebändchen im Schuber. Mare Verlag, Hamburg. ISBN 978-3-86648-259-3. 32 €

„Wir waren nicht auf Abenteuer aus. Wir wollten an bestimmten Tagen und zu bestimmten, im Tidenkalender eingetragenen Stunden an entlegenen Orten Meerestiere einsammeln. Wir mussten Abenteuer geradezu vermeiden.“
Kein Abenteuer? Nun, das mag man unterschiedlich sehen: Es ist das Jahr 1940, als John Steinbeck zusammen mit dem Meeres­biologen Ed Ricketts auf dem Sardinenkutter „Western Flyer“ von Monterey
aus aufbricht. An der kali­fornischen Küste will man fernab vom Kriegsgeschehen die Uferzonen erforschen, „das Leben in den Gezeitentümpeln“. Sechs Wochen wird das Unternehmen dauern. Es wird eine reiche Beute geben, in jeder Beziehung.
Die Beeindruckendste ist sicher das auf dieser Expe­dition entstandene „Logbuch des Lebens“, der wunderbare Bericht über die verschiedenen Stationen, die das kleine Team ansteuert, die Freude über wahre und ­ungeahnte Fundgruben, Korallenriffe, Seesterne, purpurn und golden, Kugel­fische, „die sich aufblähen und die Stacheln recken“, Schlangensterne und Rankenfußkrebse, eine „prächtige Stachelschnecke“, Schildkröten voller Entenmuscheln und Nesselfarne und so viel Leben mehr. „Überall gab es Nahrung. Jeder fraß jeden, und das in vehementem Überschwang.“
Wer Steinbecks unsterbliche Romane kennt, viele davon verfilmt, weiß, was für ein begnadeter Erzähler er ist. Literatur-Nobelpreisträger, Kriegsberichterstatter, Journalist, Autor vieler Kurzgeschichten, Novellen und Drehbücher. Hier aber diktiert die Natur die Geschichte, jeder Tag wird neu erlebt, neu empfunden und dann mit großer Erzähl- und Be­obachtungsgabe im Logbuch festgehalten.
Dabei ist Steinbeck alles andere als nur sachlich, informativ, beschreibend, und das macht das Buch so wertvoll und einzigartig: Der Verfasser schweift oft von der einfachen Beobachtung ab, philosophiert, sieht seine Arbeit eingebettet in Natur und Schöpfung, in Mythos und Geschichte. „Wir haben oft an die vielen Meeres­erinnerungen oder Seegedanken gedacht, die in den Tiefen unseres Bewusstseins schlummern. Will man das Unterbewusste beschreiben, dann greift man meist auf die Symbolik eines Gewässers zurück, in dessen Tiefen kein Licht dringt.“
368 Seiten über eine ­Forschungsreise in eine damals noch längst nicht erschlossene Region, die von Vielem etwas hat: Das Buch ist ein Reisebericht, eine ­Reportage, es bietet naturkundliche Betrachtungen, oft gewürzt mit Humor und köstlicher Situationskomik, ob an Land bei Begegnun­-gen mit den Bewohnern, ob bei ungeplanten Schwierigkeiten bei der Sicherstellung der Präparate, der über­raschenden Einsicht, dass Schildkröten alles andere als leicht sterben.
Kopfschmerzen bereitet dem Forscherteam der Außenbordmotor, eine Maschine mit ganz eigener Persönlichkeit, genannt „Hansen-Seekuh“. „Sollten diese kleinen Monster von Motoren irgendwann darauf kommen, sich zu vermehren, dann wäre das Ende der Menschheit nahe.“
Das Logbuch ist so viel mehr als ein Reisebericht, denn Koordinaten und angelaufene Orte sind nur sein Gerüst. Reine Fakten verbindet Steinbeck mit leidenschaftlicher Fabulierkunst, mit seinen faszinierenden Beobachtungen und immer wieder mit seiner Freundschaft zu Ed Ricketts, den er sehr verehrte und der auch zu einer seiner Romanfiguren wurde. „Ich wünschte, wir könnten alle so sein. Wir würden lernen, uns wenigstens ein bisschen zu mögen, dann könnten wir auf Wut und Grausamkeit verzichten. Dann müssten wir uns vielleicht nicht mehr gegenseitig verletzen, um das Kinn un­seres Egos über Wasser zu halten.“
Eine ganz großartige und zeitlos lesenswerte Mischung!

Barbara Wegmann