„Nichts ist nur gut, und nichts ist nur schlecht.“ Von wem dieses Zitat stammt, wissen wir nicht, aber es passt recht gut zu diesem Artikel ... | Von Peter und Martin Hoffmann

Dass dieser Minisalmler (Weibchen erreichen etwa 15, Männchen rund 20 Millimeter Gesamtlänge) einmal Trochilocharax ornatus heißen sollte, konnten wir beim Kauf der Fische im Juni 2010 bei der Firma Aquarium Glaser (Rodgau) noch nicht ahnen. Wir erwarben ihn unter der vorläufigen Bezeichnung Heterocharax sp. „Orange Tail“, waren jedoch sicher, dass es sich nicht um eine Art der Gattung Heterocharax handelte (die Gattung Tyttocharax, der dieser Fisch gelegentlich zugeordnet wurde, kam übrigens ebenfalls nicht infrage). Die Tiere waren erstmals im Jahr 2003 aus Peru importiert worden und tauchten immer wieder im Handel auf, doch bisher hatten wir uns noch nicht näher mit ihnen beschäftigt. Als zweiter deutscher Name neben „Orangeflossen-Glassalmler“ kursierte die Bezeichnung „Kolibrisalmler“.



Wir erstanden sechs Exemplare (drei Paare), denn die Geschlechtsunterschiede waren glücklicherweise schon recht gut zu erkennen. Die Art weist sowohl einen ausgeprägten Sexualdimorphismus als auch einen unübersehbaren Sexualdichromatismus auf: Bei den Weibchen sind Körper und Flossen fast vollständig glasig durchsichtig, mit bläulichem Schimmer (allenfalls gibt es eine geringfügige Rotfärbung des oberen Schwanzflossenlappens).
Zudem sind die Weibchen deutlich kleiner als die Männchen, die wiederum wesentlich farbiger sind. Zwar ist deren Körper ebenfalls durchsichtig, doch besitzen sie einen rötlichen Vorderrücken, einen rotzipfeligen oberen Schwanzflossenlappen, gelbe Bauchflossen und schwarz gesäumte, verlängerte After- und Rückenflossen.

Unempfindlich
Entgegen unseren Befürchtungen gaben sich die Winzlinge zunächst recht robust, überstanden den Transport gut und lebten sich in einem 15-Liter-Becken ohne Bodengrund schnell ein. Neben ein paar schwimmenden Javafarn-Pflanzen, einem Schwamm-Innenfilter und einem Stabheizer befanden sich in dem Aquarium keine weiteren Gegenstände, wir wollten die Fischchen ja möglichst genau beobachten. Sie waren auch gar nicht scheu und hielten sich meist als Gruppe im freien Wasser dicht über dem Bodengrund auf.
Wegen ihrer geringen Größe fütterten wir die Fischchen hauptsächlich mit Artemia-Nauplien. Ab und zu boten wir ihnen sehr kleine Wasserflöhe oder Cyclops an, die sie ebenfalls problemlos bewältigten. Die Wasserwerte betrugen rund 10 °dGH, pH 6,5 und 25 °C. Wöchentlich tauschten wir fast die Hälfte des Aquarienwassers gegen Frischwasser mit denselben Parametern aus.

Überraschungseier
Schon am 11. Juni, etwa eine Woche nach dem Erwerb der Tiere, wartete beim Wasserwechsel eine Überraschung auf uns. Grundsätzlich überprüfen wir das „Altwasser“ aus Becken, in denen wir Fische zur Nachzucht ansetzen, auf eventuell vorhandene Eier oder Jungfische. In diesem Fall war es zwar eher eine Routine als eine ernst gemeinte Kontrolle, doch tatsächlich konnten wir aus dem Restwasser einige Eier bergen! Sie waren ziemlich klein und glasig durchsichtig, aber unter dem Mikroskop ließ sich erkennen, dass sie befruchtet waren und sich entwickelten. So einfach hatten wir es mit der Nachzucht neu erworbener Fische, die noch nicht einmal einen Namen hatten, bisher selten gehabt.

Doch bloß nicht zu früh gefreut, denn gerade bei Salmlern beginnt die Herausforderung oftmals erst mit der Aufzucht! Aber auch in den folgenden Tagen und Wochen gab es keine Probleme. Die winzig kleinen Jungfische fraßen nach dem Freischwimmen Pantoffeltierchen und schon zwei Tage später frisch geschlüpfte Artemia-Nauplien. Allerdings entdeckten wir bei den nächsten Kontrollen keine weiteren Eier.

Doch empfindlich?
Aus ungeklärten Gründen starben die Wildfänge in den folgenden Monaten bei uns aus (die immerhin zwölf Jungfische hatten wir schon hinzugesetzt – zu ihnen später mehr). Da sie bereits geschlechtsreif waren, können sie ja auch schon älter gewesen sein. Möglicherweise ist die Art aber doch empfindlicher als zunächst angenommen? Vielleicht erträgt sie nicht optimale Wasserverhältnisse nur für eine begrenzte Zeit? Vielleicht haben andere DATZ-Leser ja ebenfalls Erfahrungen mit T. ornatus gemacht und können unsere Beobachtungen bestätigen – oder eben auch nicht?

Ein wissenschaftlicher Name
Im August 2010 erfuhren wir den wissenschaftlichen Namen unserer Fischchen. Zarske hatte die Art anhand von Aquarienexemplaren beschrieben und Trochilocharax ornatus genannt. Einen Fundort oder Details bezüglich der natürlichen Lebensbedingungen können wir somit nicht liefern. Die Herkunft des Namens erklärt Zarske so: Trochilocharax – nach der wissenschaftlichen Bezeichnung der Familie der Kolibris (Trochilidae), die sich ­wiederum ableitet von dem altgriechischen Wort trochilos, das Aristoteles für einen kleinen Vogel verwendete. Charax ist eine weitere Salmlergattung und nimmt Bezug auf die Bezahnung. Das lateinische Art-Epitheton bedeutet „geschmückt“. Zarske hatte vermutet, dass es sich um einen Salmler mit innerer Befruchtung handelt, was wir ebenfalls voraussetzten.

Der gemeine Süßwasserpolyp
Was nun mit den Jungfischen passierte, ließ uns fast verzweifeln, denn im Abstand von mehreren Tagen taumelte immer wieder ein Tier auf dem Rücken schwimmend durch das Becken und verendete; wir konnten uns die Verluste nicht erklären. Erst am 18. Dezember 2010, als nur noch zwei Nachzuchtpaare übrig waren, glaubten wir, die Ursache gefunden zu haben. Beim abendlichen Kontrollgang stellten wir bei ausgeschalteter Beleuchtung mittels Taschenlampe fest, dass Unmengen von Süßwasserpolypen an den Scheiben, auf dem Bodengrund und an den Pflanzen des Kolibrisalmler-Aquariums saßen.

Ein solches Auftreten von Hydra ist vor allem in Becken, in denen regelmäßig und reichlich Artemia-Nauplien verfüttert werden, immer wieder zu beobachten. Konnte es sein, dass die zarten Fischchen mit den Nesseltieren in Kontakt gerieten und förmlich vergiftet wurden?

Also fingen wir die restlichen vier Kolibrisalmler heraus und brachten sie in einem Zwei-Liter-Kasten unter, den wir, ausgestattet mit einer Durchlüftung, in ein anderes Aquarium einhängten. Das Wasser in dem mit Hydra verseuchten Becken erhitzten wir mittels Tauchsieder auf rund 42 °C – die effektivste und sicherste Methode, um die Plagegeister loszuwerden. Danach ersetzten wir 70 Prozent des Wassers durch kaltes Frischwasser und schlossen über Nacht vorsichtshalber noch einen UV-Strahler an. Am nächsten Morgen entfernten wir ihn. Die Temperatur war inzwischen auf 24 °C gesunken, und die Fische konnten ihr Aquarium wieder beziehen.

Der Beweis
Doch da war ja noch etwas, was es zu beweisen galt. Da sich die vier Fische in dem Zwei-Liter-Kasten offenbar nicht unwohl fühlten, war das vielleicht die Gelegenheit, um die Probe aufs Exempel zu machen. Wir setzten nur die beiden Männchen zurück in das 15-Liter-Becken, ließen die beiden Weibchen in dem Kasten und fütterten sie sparsam mit Artemia-Nauplien. Zwei Tage später, am 20. Dezember, nahmen wir gegen elf Uhr den Kasten genauer in Augenschein, entdeckten zu unserer großen Freude zwei Eier auf dem Boden und fanden beim vorsichtigen Wenden des Javafarns wenige weitere, angeheftet an den Wurzeln und an den Blättern!

Ein Blatt schnitten wir ab und legten es unter das Mikroskop, wo die nächste Überraschung auf uns wartete: Da der Laich sich schon entwickelt hatte, war das die Bestätigung für die Vermutung, dass T. ornatus tatsächlich ein Salmler mit innerer Befruchtung oder Besamung ist. An den beiden folgenden Tagen konnten wir noch einmal einige Eier aus dem Kasten bergen und in unseren bewährten 300-Milliliter-Aufzuchtschalen unterbringen.

Das Ablaichen konnten wir bisher nicht beobachten, aber es wird wohl so ähnlich verlaufen wie bei anderen Salmlern mit innerer Befruchtung, beispielsweise Brittanichtys axelrodi oder Pterobrycon myrnae, bei denen die Weibchen ohne Beteiligung der Männchen einen geeigneten Platz zum Anheften der Eier suchen und sich dabei teils auf den Rücken drehen. Denn auch bei diesen Arten waren Eier unter Javafarn-Blättern zu finden, wenn auch immer nur einzelne. Leider können wir keine Angaben zur Paarung, also zur Spermienübertragung, liefern.

Und damit kommen wir noch einmal zu dem Zitat in unserem Vorspann. Denn wenn uns das Missgeschick mit der Hydra nicht passiert wäre, hätten wir zum jetzigen Zeitpunkt wohl noch keinen Nachweis für die Vorratsbefruchtung beim Kolibrisalmler. Für Experimente dieser Art hatten wir einfach noch nicht genügend Nachzuchttiere. Sicher hätten wir zu einem späteren Zeitpunkt versucht, der Sache auf den Grund zu gehen. Aber wer weiß, ob das dann auch so prompt gelungen wäre? Also waren die Polypen doch für etwas gut!

Literatur
Zarske, A. (2010): Der Kolibrisalmler – Trochilocharax ornatus gen. et spec. nov. – ein neuer Salmler aus Peru (Teleostei: Characiformes: Characidae). – Vertebrate Zoology 60 (2): 75–98.