Die Fachgruppe Zierfisch- und Wasserpflanzengroßhandel im Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe e. V. (ZZF) hat ein Fisch-Nachzuchtprogramm ins Leben gerufen. Herzstück
des Programms ist das interaktive Internetportal my-fish.org. | Von Ingo Seidel
Aufgrund der in ihren Heimatländern immer stärkeren Beschränkungen des Exports von Aquarienfischen und infolge der fortschreitenden Zerstörung tropischer Lebensräume ist in Zukunft mit einer immer kleiner werdenden Auswahl an Arten zu rechnen. Das beklagt auch der Großhändler Herbert Nigl in der Februar-Ausgabe dieser Zeitschrift (Mengedoht 2012).
Nigl hat deshalb mit weiteren Mitgliedern der Fachgruppe Zierfischgroßhandel des ZZF das „Aquaristik-Survive-Projekt“ ins Leben gerufen. Es ist heute bekannt als die Internet-Plattform „my-fish“.
Ein besonderes Anliegen dieses Projekts ist, die aquaristische Vielfalt an Fischen, Wirbellosen und Wasserpflanzen durch Vermehrung im Aquarium so weit wie möglich zu erhalten. Dass der Erhalt von Fischarten durch die Aquaristik durchaus möglich ist, zeigt sich an den Beispielen einiger gut bekannter Spezies. So sollen etwa solche populären Arten wie die Haibarbe (Balantiocheilos melanopterus), der Rote von Rio (Hyphessobrycon flammeus) oder der Kardinalfisch (Tanichthys albonubes) in der Natur gar nicht mehr vorkommen, aber sie werden sehr häufig nachgezogen.
Mit dem Projekt sollen vor allem junge Leute und somit der „Nachwuchs“ an die Aquaristik herangeführt und für die Vermehrung von Fischen begeistert werden. Dazu sollen Kinder und Schüler durch Schulprojekte und öffentliche Auftritte auf dieses schöne Hobby aufmerksam gemacht werden.
Aquaristische Anfänger, alte Hasen und ausgesprochene Experten sollen aber ebenfalls angesprochen werden, denn es gibt genug Fische unterschiedlichster Schwierigkeitsgrade, die es für unsere Aquarien zu erhalten lohnt.
Zwar ist der Großhandel der Initiator dieses Projekts, doch sollte der Erhalt der Artenvielfalt jeden in irgendeiner Weise mit der Aquaristik Beschäftigten interessieren. So werden auch der Einzelhandel, die Industrie, die Aquarienvereine und jeder einzelne Aquarianer um ihre Mithilfe gebeten. Jeder darf und kann sich hier im Rahmen seiner Möglichkeiten einbringen.
Die Entwicklung des Projekts
Im Januar 2011 stellte der ZZF sein Nachzuchtprogramm im Rahmen der Internationalen Grünen Woche in Berlin einem breiten Publikum vor. In der „Erlebniswelt Heimtiere“ konnte man den Stand besichtigen und sich ausgiebig über das Projekt informieren. Man konnte sich Videos von lebenden Fischeiern, Embryonen und Jungfischen sowie verschiedenen Futtertieren für die Aufzucht ansehen. Vielen Besuchern bot sich zudem die einmalige Gelegenheit, die Embryonalentwicklung von Salmlern und Barben „live“ unter dem Mikroskop zu verfolgen.
In einigen der ausgestellten Aquarien wurden Aquarienfische vermehrt, und so wurde demonstriert, wie einfach ihre Nachzucht sein kann. Auf dem LCD-Bildschirm eines speziellen Mikroskops konnten die Besucher jedes kleinste Detail der Eier und Larven und mit etwas Glück sogar deren Schlupf beobachten.
Insbesondere Jugendliche waren schwer begeistert. Das Mikroskop war ständig umlagert, was zeigt, dass das Konzept offensichtlich aufging.
Der Erfolg eines solchen Projekts steht und fällt mit der Mitarbeit, und so ließ sich im ersten Jahr der große Durchbruch noch nicht erzielen. Vor allem zeigte sich, dass die Arbeit nicht auf zu wenige Köpfe verteilt werden darf. So soll das Projekt nun direkt von der Geschäftsstelle des ZZF gesteuert werden. Eine Arbeitsgruppe mit ZZF-Mitgliedern begleitet es, und inhaltlich wird es vor allem von Redakteurin Laura Heidbrink und Community-Manager Matthias Wiesensee betreut.
Noch in diesem März wird „my-fish“ in neuem Gewand erscheinen und allen Teilnehmern viele Möglichkeiten zur Mitarbeit bieten. Kernpunkte des Projekts sind ein Blog, in dem über News und aktuelle Fortschritte berichtet und Wissen und Einblicke in die Aquaristik vermittelt werden, ein Wiki, in dem eine Wissensdatenbank aufgebaut wird, eine Community, in der sich die Teilnehmer untereinander austauschen können, und natürlich die Zuchtprojekte, die nach Schwierigkeitsgraden gegliedert sind.
Der Blog
Der Blog bietet den Besuchern der Homepage regelmäßig aktuelle Beiträge aus der Aquaristik. Aquarianer werden hier die Möglichkeit haben, über interessante Reisen und Exkursionen zu berichten. Importeure können neue und seltene Importe vorstellen. Auch über aktuelle aquaristische Veranstaltungen, Fachmessen oder Pressemeldungen soll informiert werden. Weiterhin wird der Industrie die Möglichkeit geboten, neue Produkte zu präsentieren. Aquarianer können Testberichte zu diesen Produkten oder ihre eigenen Tipps und Kniffe veröffentlichen. Jeder ist aufgerufen, Beiträge einzureichen.
An erster Stelle sind jedoch Nachzuchterfahrungen von Züchtern seltener oder selten gewordener Arten gefragt, denn auf diese Art und Weise wird die gesamte Community darüber informiert, welche Fische in ihren Reihen vermehrt werden.
Das Wiki
Einer der Kernpunkte ist eine Wissensdatenbank, ein sogenanntes Wiki (hawaiisch = „schnell“). Darin werden nach und nach alle gepflegten Arten von Fischen, Wirbellosen und Wasserpflanzen erfasst und beschrieben. Auch Anleitungen und Tipps sollen hier berücksichtigt werden.
Das Wiki funktioniert so ähnlich wie Wikipedia, das heißt, jeder darf daran mitwirken. Das Wiki ist eine sehr bedeutende Grundlage für die Zuchtprojekte, denn jeder kann sich darin ausführlich über die beteiligten Arten und deren Einteilungen informieren.
Die Zuchtprojekte
Einen wichtigen Bestandteil von „my-fish“ werden natürlich die Zuchtprojekte bilden, in einem Level-System nach Schwierigkeitsgraden gegliedert. Auf der einfachsten Stufe sollen die Teilnehmer auch anhand weder in der Aquaristik noch in der Natur gefährdeter Arten, etwa des Zebrabärblings (Danio rerio), an die Nachzucht von Aquarientieren herangeführt werden. Sie sollen auf einfache Weise die Entstehung des Lebens bewundern können und entdecken, wie spannend und interessant Aquaristik sein kann. So können Einsteiger erste Erfahrungen sammeln und sich nach und nach zu einem höheren Level emportasten.
Erfahrene Züchter finden in den oberen Stufen Arten, deren Nachzucht eine Herausforderung und deren Erhalt für die Aquaristik wichtig ist.
Die Community
Hier können sich Gleichgesinnte nach Belieben austauschen und tiefe Einblicke in die aufregende Beschäftigung mit Aquarienfischen erhalten. Es gibt Kontaktmöglichkeiten zu Experten in den unterschiedlichen Bereichen. Wer eine Hilfestellung oder kompetente Beratung sucht, kann sie in einem kleinen Forum finden.
Aber es besteht auch die Möglichkeit, sich und seine Tiere zu präsentieren und Bilder oder Videos zu veröffentlichen. Einsteiger in die Aquaristik, Schulklassen oder Gruppen sollen hier in Zukunft außerdem Lernmaterial erhalten.
Geplant ist weiterhin ein Newsletter mit Tipps und Infos zu aquaristischen Themen.
Welche Arten nachzüchten?
Es gibt zahlreiche Fischarten, für die zu befürchten ist, dass sie wieder aus unseren Aquarien verschwinden. Vermutlich nur durch Zusammenarbeit und Aufklärung lassen sich die meisten von ihnen erhalten. Etliche dieser Arten sind dabei sogar noch ziemlich einfach zu vermehren. Oft fehlen den Interessierten lediglich Informationen über Bezugsquellen, und deshalb ist die Bekanntgabe, was alles vermehrt wird, ausgesprochen wichtig.
Die Gründe dafür, warum eine Art aus der Aquaristik verschwinden kann, sind sehr vielfältig, hier nur einige Beispiele. Natürlich sollten Arten Priorität haben, die in der Natur bereits ausgestorben sind oder auszusterben drohen, wie etwa der beliebte Zebrawels (Hypancistrus zebra), dessen Existenz durch den Staudammbau am Rio Xingu bedroht ist.
Der Filament-Störwels (Sturisoma festivum) könnte hingegen aus einem anderen Grund aus der Aquaristik verschwinden. Dieser in der Vergangenheit am häufigsten importierte Störwels ist in der Natur nicht bedroht, wird aber nicht mehr exportiert, weil sein Vorkommensgebiet wegen der kolumbianischen Drogen-Guerilla zurzeit nicht zugänglich ist. Die in der Aquaristik verbreiteten Bestände laufen Gefahr, mit dem ähnlichen und häufig eingeführten S. aureum vermischt zu werden.
Auch der noch vor wenigen Wochen sehr zahlreich zu uns eingeführte Pitbull-Harnischwels oder LDA 25 (Parotocinclus jumbo) sollte durch Nachzucht erhalten werden, denn weitere Exporte aus Brasilien werden seit dem Inkrafttreten der neuen Positivliste, auf der die Art fehlt, wohl nicht mehr erfolgen.
Fortgeschrittene und Profis unter den Aquarianern sollten sich unbedingt der Vermehrung von Pterophyllum altum widmen, die wegen ihrer hohen Ansprüche der Art eine wirkliche Herausforderung ist. Dieser außerordentlich schöne Segelflosser wird zurzeit so gut wie nicht mehr eingeführt, da die Importtiere fast immer schwer erkranken.
Viele seltene Arten von Aquarienfischen (etliche Killifische, Lebendgebärende Zahnkarpfen und Cichliden) wurden ausschließlich von reisenden Aquarianern eingeführt, und ein erneuter Import ist unwahrscheinlich; auch sie gilt es zu erhalten.
Wo kann man „my-fish“ finden?
Wer sich über das Projekt informieren möchte, sollte die Homepage www.my-fish.org besuchen, die von diesem Monat an allen Aquarianern zahlreiche Möglichkeiten für Aktivitäten bietet. Auch auf Facebook ist „my-fish“ vertreten. Verschiedene Videos des Projekts kann man zukünftig bei YouTube finden.
Auf der weltgrößten Heimtiermesse, der Interzoo in Nürnberg, präsentiert sich das my-fish-Projekt vom 17. bis zum 20. Mai auf dem Messestand des ZZF, Halle 4, 324.
Wie kann man sich einbringen?
In den verschiedenen Fachgruppen und Vereinigungen von Aquarianern versucht man schon seit Jahren, Fische und Wirbellose durch Nachzucht zu erhalten. Viele Aquarianer sind jedoch nicht in solchen Vereinigungen organisiert. An dem ambitionierten Projekt „my-fish“ kann sich jeder, der sich für Aquaristik interessiert, kostenlos beteiligen. Zu Beginn sollte er seinen Start-Level aber ganz ehrlich einschätzen. Anfänger sollten ihre ersten Erfahrungen mit den zahlreichen einfach zu vermehrenden Arten sammeln und sich nach und nach an anspruchsvollere Tiere heranwagen. Um auch die seltenen und schwieriger zu vermehrenden Arten für unser Hobby zu erhalten, sind vor allem Fortgeschrittene und Experten gefragt; sie finden hier noch echte Herausforderungen.
Natürlich wäre es schön, wenn Zoofachhändler und Großhändler die zwangsläufig anfallenden größeren Mengen an Jungtieren ankaufen und weiteren Aquarianern zugänglich machen würden. Durch Veröffentlichung von Nachzuchterfolgen in der Community oder im Blog lassen sich für Aquarianer, die an diesen Arten interessiert sind, mögliche Bezugsquellen einfacher nachvollziehen.
Im Endeffekt profitieren alle Teile der Aquaristik von dem Projekt. Jeder einzelne Aquarianer findet Kontakt zu Gleichgesinnten, die sich ebenfalls mit den begehrten Tieren beschäftigen, und kann Bezugsquellen herausfinden. Der Zoofachhandel gewinnt durch ein vergrößertes Angebot an gesunden Nachzuchten. Letztendlich hat die Industrie ebenfalls etwas davon, dass neue Aquarianer und vor allem Jugendliche für dieses schöne Hobby interessiert werden – Menschen, denen man dann auch neue Produkte vorstellen kann.
Aus diesen Gründen würde sich der ZZF freuen, wenn die Industrie und kleinere wie größere Zoofachhandels-Unternehmen das Projekt fördern. Aber auch redaktionelle Unterstützer aus den Reihen der Aquarianer sind immer gesucht.
Machen Sie mit!