Das geangelte Ohrläppchen wird der einzige größere Unfall bleiben ... Mit zehn Jahren machen Max und sein Vater die Angelprüfung, und schnell wissen sie: „Angeln ist die Freizeitbeschäftigung mit dem höchsten Materialaufwand … Verschiedene Disziplinen, unterschiedliche Techniken, für alles hochspezielle Kleinteile in allen Preisklassen von etlichen Anbietern.“ Folgerichtig gebe es Geräte, die man kaufe, um sie zu haben, und nicht, um mit ihnen zu fischen, gesteht Scharnigg und weiß nach den vielen Anglerjahren, dass eine „wichtige Komponente beim Angeln darin besteht, überflüssigen Besitz anzuhäufen und zu verwalten“. Damit nicht genug: „Irgendwas fehlt am Wasser immer.“ Es ist der sympathische, nicht selten humorvolle Erzählton, der das Buch auch für Nicht-Angler lesenswert macht, kleine Eingeständnisse, ehrliche Zugeständnisse, augenzwinkernde Selbstkritik und versteckte Offenbarungen sprechen jedem Angler – versprochen! – aus dem Herzen. Aber die kurzen Kapitel sind auch kleine literarische Häppchen, die von menschlichen Schwächen, stillen Leidenschaften und tiefer Passion erzählen. Scharnigg gelingt ein Rundumschlag: Es gibt kein Stichwort, das er unerwähnt lässt, er gibt Antworten auf Fragen, beschreibt Anglertypen und Angelausrüstungen. Sachliches und Angelphilosophisches gehen Hand in Hand. Scharnigg schildert sehr bildhaft die andächtige Stimmung am Wasser, die friedliche Erhabenheit, die stoische Ruhe, den Instinkt, den erfüllten Anglertag, der immer auch ein „Projekt“ ist, das „schaurig-schöne Gefühl, etwas Zappelndes an der Schnur zu haben“. Es ist Scharniggs bestechende Beobachtungsgabe, die den großen Charme des Buchs ausmacht, das Fischen der leisen Töne: Wenn alte Angler den „See lesen“, wenn Anglerträume und Urängste des passionierten Fischers schon am Gesichtsausdruck ablesbar sind, wie die Reaktion von Mutter und Gattin ausfällt, wenn der Kühlschrank Ungewohntes enthält: „Ich wusste nicht, dass Maden bei geöffneter Schachtel auch einen gewissen Freiheitsdrang verspüren.“ Barbara Wegmann