Der englische Autor auch, aber auf eine andere, aus meiner Sicht etwas altmodische und eben – „intellektuelle“ – Weise. Ganz im Stil der Ur-Ausgaben von Brehms Tierleben, wo oftmals erstaunliche Tiere den damals mangels eigener Anschauung völlig unbedarften Lesern präsentiert wurden – ein bisschen wie in einem Kuriositätenkabinett –, versucht Henderson, diese alten Zeiten wieder aufleben zu lassen, und unterfüttert das Ganze mit ausschweifenden Kommentaren, Geschichten und – ja, durchaus – Wahrheiten. Immerhin stellt er große Ansprüche an sein Werk (Originalton „Amazon“): „Sein Buch ist eine geistreiche und inspirierende Expedition durch die erfindungsreiche Geschichte der Evolution und die verblüffende Vielfalt der Schöpfung, bei der Henderson die großen Fragen der Menschheit berührt: nach dem Ursprung des Lebens und den Auswirkungen des technischen Fortschritts. So lässt sich Hendersons Kompendium auch als Allegorie auf unsere Beschränktheit lesen, mit der wir das menschliche Bewusstsein zum Höchsten erklären.“ Dass wir uns hier richtig verstehen: Das Buch ist professionell gestaltet, wenn auch die Illustrationen etwas mager ausgefallen sind. Aber wer gern durchaus intelligente Texte liest und selbst wenig weiß über unsere Tierwelt und ihre Evolution, der wird hier umfangreichen Lesestoff fin- den. Henderson hat entweder intensiv recherchiert, oder er weiß einfach sehr viel. Jedenfalls hat er eine Unmenge Material zusammengetragen, das er in die Vorstellung seiner „Monster“ einbringt. Nicht umsonst hat der Autor etliche Literaturpreise gewonnen. Allerdings stehen einem schon die Haare zu Berge, wenn man – zugegeben, in diesem Zusammenhang eher unwichtige – Details betrachtet. Das Kapitel über den „Kraken“ beispielsweise beginnt mit dessen systematischer Einordnung. Möglicherweise hat der Übersetzer Schuld, aber außer dem Stamm – „Weichtiere“ – stimmt hier nicht viel. Eine Ordnung „Kraken“ gibt es nicht, man kann systematische Begriffe nicht einfach so übertragen und die Gattung als „Oktopus“ (mit „k“!) bezeichnen. Und was ist ein „Erhaltungsstatus“? Klar ahnen wir, was gemeint ist, aber so pauschal – „viele Arten, von nicht gefährdet bis vom Aussterben bedroht“ –, das nützt einfach niemand, es gibt nun einmal viele Octopus- Arten. Wie gesagt, Kleinigkeiten. Dennoch fällt es mir schwer, das Buch rückhaltlos zu empfehlen. Es bietet eine Fülle an Wissen, Anekdoten, geschichtlichen und biologischen Anmerkungen. Gewiss eine geistreiche Fundgrube für Leseratten. Aber der Einteilung unserer Tierwelt in „Monster“ und „Nicht-Monster“ kann und mag ich beim besten Willen nicht folgen. Was ist etwa an einer Muräne so monströs? Für mich sind diese Fische wunderschöne Tiere, die mir – bis auf einen Schreckbiss in das Hinterteil einer unvorsichtigen Taucherin, die sich ausgerechnet auf das Loch setzen musste, in dem eine Muräne wohnte – noch nie unangenehm auffielen. Ich könnte diesen Fischen stundenlang dabei zuschauen, wie sie, scheinbar paralysiert, stillhalten, wenn kleine Putzerfische oder Garnelen an ihnen nach Parasiten suchen. Mag sein, dass solche Tiere auf manche Zeitgenossen ein bisschen „gruselig“ wirken, wenn sie nachts im Riff einen schlafenden Fisch aufstöbern und versuchen, ihn zu fressen. Aber ist das „gruseliger“ als das Schlachten eines Huhns durch Homo sapiens? Noch ein Nachsatz. Die Behauptung im Werbetext: „Die Tierwelt gilt durch die Naturwissenschaft als restlos entzaubert“, kann ich nicht nachvollziehen. Wir Aquarianer wissen das jedenfalls viel besser, und uns vermögen selbst noch so „banal“ scheinende Aquarienfische immer noch zu verzaubern, oder? Werner Baumeister