margin-right: 20px; margin-bottom: 10pxVon Michael Kempkes, Juliane Lukas und David Bierbach (Hg.), mit Beiträgen von David Bierbach, Frank Budesheim, Sebastian Emde, Jonas Jourdan, Gregor Kalinkat, Michael Kempkes, Juliane Lukas, Friedrich Wilhelm Miesen und Udo Rose. NBB kompakt, Band 5. 136 Seiten, 93 Farbfotos, zwölf Grafiken und vier Tabellen, Paperback. VerlagsKG Wolf, Magdeburg, 2018. ISBN 978-3-89432-287-8. 19,95 €

Es gibt sie tatsächlich: Guppys und andere tropische Fische als gebietsfremde ­Arten (Neozoen) in einheimischen Wildgewässern. Jedenfalls solange noch Kohle- und Atomkraftwerke am Netz sind, in deren temperierten Abwässern solche wärme­bedürftigen Exoten existieren können (von Warmgewässern geothermalen Ursprungs einmal abgesehen).
Um solche Habitate und ihre Bewohner geht es in ­diesem Buch. Nicht um ­Arten, die über immer schifffahrtsgerechter ausgebaute Wasserwege zu uns gelangen wie die Wandermuschel oder die aus fischereiwirtschaft­lichen Gründen eingebürgerte Regen­bogenforelle.
Im Zentrum der Darstellung steht der Gillbach, ein industriell erwärmter Zufluss der Erft, die, aus der Nord­eifel kommend, in den Rhein entwässert. Nach seiner ersten Erwähnung im Jahr 1978 durch F.-P. Müllenholz und einem Beitrag von M. Kempkes im Jahr 2002 in der DATZ hat sich dieses Gewässer ­zunehmend zu einem Forschungsschwerpunkt der Invasionsbiologie entwickelt.
Neben der Analyse und Beschreibung der regiona­-len Situation geht es auch darum, verallgemeinerungswürdiges Wissen darüber zu erwerben, wie sich gebietsfremde Arten ausbreiten, welche Gefahren für die einheimische Fauna damit einhergehen (können) und welche Aufgaben sich daraus ergeben. Vor dem Hintergrund globaler Veränderungen sowohl des Klimas als auch der Biosphäre werden solche Forschungen immer wichtiger.
Aber zunächst werden nach dem Vorwort und dem Inhaltsverzeichnis einführende Über­sichten über die Warmgewässer Europas und deren zum Teil exotische ­Faunen gegeben und über Vorkommen frei lebender Guppys außerhalb ihres ­ursprüng­lichen Areals, spe­ziell in Europa und insbe­sondere in Deutschland.
Es folgt ein Kapitel über das außergewöhnliche Ökosystem Gillbach, das vom ­erwärmten Kühlwasser eines Kohlekraftwerks profitiert, über seine spezielle Biozö­nose mitsamt den trophischen Abhängigkeiten der einzelnen Arten voneinander – einheimischen wie nicht einheimischen – und schließlich über die saiso­nalen Schwankungen seines Warmwasser-Regimes.
In den folgenden drei ­Kapiteln geht es um die Biologie der Gillbach-Guppys, ihre Strategien zur Feindvermeidung, ihr Fressverhalten und Nahrungsspektrum und um ihre Rückentwicklung (Dedomestikation) von der Hochzuchtform zum Wildtyp, ferner um die Buntbarsche des Bachs (Zebrabuntbarsch, Marienbuntbarsch und weitere Cichliden) und schließlich um neue Para­siten, die durch gebietsfremde Arten auf einheimische (Fisch)arten übertragen werden können.
Das siebente Kapitel ist dem Gillbach als (semi)natürlichem Forschungslabor gewidmet. Es geht dabei um die Anpassungen an sich verändernde Temperaturen, um die Ausbreitung invasiver Arten, die Koexistenz autochthoner und allochthoner Arten sowie um praxisnahe Schlussfolgerungen daraus.
Vor dem Hintergrund der menschgemachten Klimaerwärmung sind der Gillbach und ähnliche erwärmte Gewässer Vorboten dessen, was uns in der Zukunft erwarten könnte. Neben Vergleichen mit früheren erdgeschichtlichen Epochen und Computer-gestützten Rechenmodellen bieten sie eine weitere Möglichkeit, einen Blick in die Zukunft zu wagen, die Auswirkungen des Klimawandels besser zu erforschen und unsere Verantwortung für die Umwelt und für folgende Generationen klarer zu erkennen.
Das letzte Kapitel behandelt die Zukunftsper­spektiven der thermophilen Lebensgemeinschaften in Erft und Gillbach, deren Schicksal nach den geplanten Stilllegungen der wärmespendenden Kraftwerke besiegelt wäre, sowie das Thema Wildfischerei. Nach den gesetzlichen Bestimmungen darf kein Unbefugter Fische aus einem Gewässer entnehmen oder in ein Gewässer einsetzen. Insofern ist der Gillbach als Freilandlabor nicht der Ort, um darin beispielsweise nicht vermittelbare Aqua­rienfischnachzuchten zu „entsorgen“, aber auch kein „Selbstbedienungsladen“.
Wobei die Autoren jedoch aus eigenen Erfahrungen aus ihrer Jugend einräumen, dass damit noch nicht befriedigend geklärt ist, wie Kinder ohne direkte Beziehungen zu Tieren und Pflanzen ein enges Verhältnis zur Natur entwickeln können, wenn der Kontakt weitgehend durch Gebote und Verbote eingeschränkt ist.
Wie üblich finden sich am Schluss des Buchs das Literaturverzeichnis (mit 183 Titeln), ein Orts- und
ein Artenregister.
Einer alten Tradition der NBB-Reihe folgend, stellen sich Autorin und Autoren selbst ihrem Leser-Publikum vor, mit Bildnis und fachbezogener Kurzbiografie. Aus der Sicht des Re­zensenten sind sie allesamt engagierte Leute, denen die Faszination anzumerken ist, die sie bei dieser ­besonderen Art der Feldforschung empfinden, und denen es sehr gut gelingt, die Begeisterung für ihr anspruchsvolles Thema den Lesern zu vermitteln. Als Angehörige mehrerer über die Republik verteilter Forschungsinstitute und Landesämter (ein Tierarzt ist auch dabei) sind sie gut miteinander vernetzt. Hoffentlich ist der Inhalt des vorliegenden Buches nicht das Letzte gewesen, was sie uns über die tropischen Neozoen im Gillbach und in ähnlichen Gewässern mitzuteilen haben!
Das Buch ist jedem zu empfehlen, der neben aquaristischen Ambitionen Interesse an der heimatlichen Natur hat, vielleicht gar ein „Waldläufertyp“ ist, oder sich ganz allgemein über ein ebenso aktuelles wie spannendes Gewässer-bezogenes Forschungsfeld informieren will und dabei auch noch Lesevergnügen empfinden möchte.
Hans-Joachim Paepke