Mitunter können Ziele des Artenschutzes (der Erhalt gefährdeter Arten) und des Tierschutzes (der Schutz des einzelnen Individuums vor Schmerzen, Leiden und Schäden) miteinander kollidieren.
Über einen solchen Fall hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg (Az. 4 ME 48/19) zu entscheiden, wobei das Gericht dem Ziel des Tierschutzes faktisch Vorrang einräumte, was es in seiner Argumentation allerdings nicht berücksichtigte.
Die Frage, ob ein unter Artenschutz stehendes Tier aus Tierschutzgründen getötet werden dürfe, wurde hier bejaht. Ein Wolf, der sich ­anhand seines Gen-Codes klar identifizieren ließ, hatte mehrfach Rinder angegriffen. Die zuständige Behörde hatte eine Genehmigung für die „zielgerichtete letale Entnahme“ des Wolfs aus
der Natur erteilt.
Der Eilantrag einer Naturschutzvereinigung gegen diese Entscheidung blieb in zwei Instanzen erfolglos. Das Gericht legte seinem Beschluss vor allem zugrunde, dass der Wolf erhebliche und unzumutbare wirtschaftliche Schäden anrichten könne: Schließlich habe er Rinderherden angegriffen, bei denen an sich ausreichender „Herdenschutz“ bestehe. Auch drohe die Gefahr, dass der Wolf seine Jagdtechnik an andere Wölfe weitergeben könne. Eine Alternative zur Tötung des Tieres gebe es nicht, insbesondere könnten Schutzmaßnahmen für die Rinder (etwa hohe Elektrozäune) nicht flächendeckend umgesetzt werden.
Dass der Kollision zwischen Tier- und Artenschutzrecht in der Entscheidung kein Raum gegeben wurde, ist schade – hier hätte man die jeweiligen Rechtsgüter grundsätzlich gegeneinander abwägen können. Ähnliche Probleme können sich beispielsweise ergeben, wenn die Vermehrung einer gefährdeten Art erfolgreich gelingt, indem man die betreffenden Tiere – sicher nicht leidensfrei – mit einer Hormoninjektion zum Laichen stimuliert.
Auch wenn der hier geschilderte Fall mit dem unanfechtbaren Beschluss des OVG abgeschlossen ist, könnten sich ähnliche Diskussionen an anderer Stelle wiederholen.