Aquarianer hielten Krabben der Gattung Cymo eher für Schädlinge, die Korallengewebe ­fressen. Die Wissenschaft nahm an, dass sie wenig Schaden anrichten; aber dass sie kranke Acropora-Stöcke sogar pflegen und teilweise heilen können, ist neu. Bislang wurde überlegt, ob das Plündern von Korallengewebe durch die Schwarzfingrige Korallenkrabbe (Cymo melanodactylus) zu Gewebeverlust beiträgt, der auch durch das „Weiße Syndrom“ (Acropora White Syndrome, AWS) bei acroporiden Korallen entsteht.

Wissenschaftler um Joe POLLOCK zeigten hingegen, dass die kleinen Krabben im Versuch nicht nur kein AWS von infizierten auf gesunde Korallenstöcke übertragen, sondern die Krankheit sogar verlangsamen. Cymo melanodactylus wurde stark von Korallen mit AWS-Wunden angezogen, 87 Prozent der Krabben migrierten in Versuchsbecken zu befallenen Stöcken und nur drei Prozent zu gesunden. Demnach könnten diese Krabben die Folgen des Weißen Syndroms in den Riffen mildern.



Steinkorallen sind Habitat für viele makro- und mikroskopische Lebewesen. Einige Arten corallivorer Krabben aus den Gattungen Trapezia und Te­tralia erhöhten die Gesundheit der Korallen, indem sie feines Sediment von der Gewebeoberfläche entfernten und ihre Wirte gegen schädliche Korallenfresser wie Acanthaster planci verteidigten, führen Joseph POLLOCK und seine Kollegen vom Centre for Marine Microbiology and Genetics vom Aus­tralian Institute for Marine Science und dem ARC Centre of Excellence for Coral Reef Studies der James Cook University in Townsville aus. Bakterien im Korallenschleim könnten das Wachstum potenziell schadhafter Mikroben, etwa des Auslösers der „White Pox Dis­ease“, verhindern.

Jüngste Literatur betonte die mögliche Rolle makroskopischer Corallivoren beim Initiieren krankhafter Wunden und Verbreiten der Krank­-heit unter den Korallenkolonien, wie des Feuerborstenwurms (Hermodice carunculata), der Korallenschnecke (Coralliophila abbreviata) oder des Vieraugen-Falterfisches (Chaet­odon capistratus). PRATCHETT et al. (2010) hatten überlegt, dass auch C. melanodactylus zur Verbreitung ausgedehnten Gewebeverlusts in Übereinstimmung mit Krankheiten wie AWS beitragen könnte.

Das Ausbrechen von AWS einer einzigen Ursache zuzuschreiben erwies sich aber bisher laut POLLOCK und Kollegen als trügerisch: „Unser Ziel war es herauzufinden, ob C. me­lanodactylus bei der Entstehung oder dem Fortschreiten von AWS bei Acropora-Korallen eine Rolle spielt“.

Die Studie wurde im Februar 2012 auf Lizard Island im Great Barrier Reef durchgeführt. An drei Standorten wurden beim Tauchen gesunde und AWS-infizierte Kolonien von Acropora hyacinthus untersucht, um das Mengenverhältnis zwischen C. melanodactylus und den Korallen zu bestimmen. Die Experimente wurden in 60-Liter-Aquarien bei rund 29 °C Wassertem­peratur in der Lizard Island Research Station durchgeführt. Gesunde und infizierte Kolonien von A. hyacinthus wurden beim Schnorcheln gesammelt, und bis auf die entnommenen
C. melanodactylus wurden alle anderen sichtbaren Tiere von den Stöcken entfernt und wieder im Riff ausgesetzt.

Die Korallenstöcke wurden in Fragmente à zehn mal zehn Zentimeter zerschnitten und in fünf Gruppen aufgeteilt: AWS-Stücke ohne Krabben, mit vier Krabben und mit zehn Krabben, gesunde Stücke ohne Krabben und mit vier Krabben. Die Popula­tionsdichten von vier respektive zehn Krabben auf 100 Quadratzentimetern Korallenfläche stimmten mit den Beobachtungen in der Natur (im Durchschnitt und im Maximum) überein. Jede der fünf Gruppen umfasste drei Aquarien mit jeweils drei Korallenstücken. Die Krabbenverteilung wurde beobachtet, die Becken wurden zweimal wöchentlich gereinigt und die Korallen alle zwölf Stunden fotografiert, 21 Tage lang oder bis zum Absterben.

Außerdem wurde ein Wahlexperiment in sechs Aquarien mit jeweils gesunden und AWS-infizierten Korallenstöcken durchgeführt, um die Habitatpräferenz von C. melanodactylus zu bestimmen.

Die Nahrungsaufnahme der Krabben führte bei den gesunden Acropora-Fragmenten zu keinem Gewebe­verlust, „und wir fanden heraus, dass diese Krabben das Wundfortschreiten AWS-infizierter Korallen bedeutend verlangsamen konnten“, berichtet POLLOCK. Auf den kranken Fragmenten ohne Cymos-Krabben schritt die Krankheit dreimal schneller fort als auf den Fragmenten mit Krabben! Es gab jedoch keinen großen Unterschied, ob vier oder zehn Krabben an einem Stück lebten. Auch an Stöcken, an denen in freier Wildbahn die maximale Krabbendichte gefunden wurde, konnte keine Verschlimmerung der Krankheit durch Vertilgen gesunden Gewebes festgestellt werden, heißt es.

„Obwohl C. melanodactylus die Wunden nicht völlig stoppen konnte, lässt ihre Fähigkeit, das Voranschreiten der Krankheit deutlich zu verringern, einen potenziellen Vorgang erkennen, mit dem diese korallenbewohnenden Krabben die Folgen von AWS für ihre Wirte lindern könnten.“ Die exakten Mechanismen, durch die die Krabben die Krankheit verlangsamen, seien unklar, aber sie könnten bei der Wundsäuberung helfen.

Die Krabben seien beobachtet worden, wie sie am Wundrand fraßen, was darauf hindeute, dass sie die Wunde auf ähnliche Weise desinfizieren könnten wie bei der Maden-Therapie: Dabei werden Fliegenlarven direkt in offene Wunden appliziert, wo sie totes, absterbendes oder infiziertes Gewebe konsumieren und gleichzeitig einen Schleim absondern, der weitreichende antimikrobielle Wirkung hat.

Über das diesbezügliche Repertoire von C. melanodactylus sei nichts bekannt, doch für viele Dekapoden seien antimikrobielle Peptide isoliert und beschrieben worden. Auf jeden Fall könnten die Krabben Würmer, ­Pilze, Ciliaten, Cyanobakterien und andere heterotrophe Mikroorganismen abpicken, die bei solchen Infek­tionen auf zellulärer Ebene bekannt seien. Diese Organismen seien nicht als Ursachen für AWS bestätigt, könnten aber zum Fortschritt der Krank­-heit beitragen.

Cymo melanodactylus wurde auch als möglicher AWS-Überträger entlastet, im Gegensatz zu einigen Würmern, Weichtieren und Chordatieren. Zumindest seien nach 21 Tagen an keinem Korallenstück, auf das Krabben von befallenen Korallen gesetzt wurden, Symptome erkennbar gewesen.

Die Forscher fanden im Freiland auf allen untersuchten kranken Korallen C. melanodactylus, aber sie gehören wohl auch zum normalen Besatz gesunder Acropora, da sie auf elf Prozent der nicht befallenen Stöcke nachgewiesen wurden. Da sie aber so viel häufiger auf kranken Stöcken und hier wiederum verstärkt auf den infizierten Teilen vorkommen, könne man davon ausgehen, dass C. melanodactylus von gesunden auf kranke Stöcke umziehe.

Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass in Sachen Korallengesundheit und -krankheiten mehr Gewicht auf die Erforschung möglicherweise vorteilhafter Auswirkungen makroskopischer Korallenbewohner gelegt werden sollte. 

von Oliver Mengedoht

Literatur
POLLOCK, F. J., S. M. KATZ, D. G. BOURNE & B. L. WILLIS (2012): Cymo melanodactylus crabs slow progression of white syndrome lesions on corals. – Coral reefs, online. DOI: 10.1007/s00338-012-0978-9.