Tiere und Pflanzen zu züchten, die nicht in der Natur vorkommen und die es ohne den ­Menschen gar nicht gäbe, sie nach eigenen Vorstellungen in ihrem Aussehen zu verändern und attraktiver zu machen, ist das Hobby vieler Menschen. Auch Aquarianer gehen dieser Beschäftigung mit großem Einsatz nach.

Sieht man einmal vom Goldfisch und von seinen Varianten ab, weil sie weniger im Haus und Wohnbereich, sondern eher in Gartenteichen gepflegt werden, ist der Siamesische Kampffisch wahrscheinlich der älteste Aquarienfisch. Von ihm gibt es inzwischen eine beinahe unüberschaubare Vielfalt von Zuchtformen, die auf speziellen Ausstellungen präsentiert und prämiert werden, aber kaum einmal den Weg in die Zoofachgeschäfte finden und deshalb wenig bekannt sind, im Folgenden werden die wichtigsten vorgestellt.



Aquaristische Geschichte
Die natürliche Verbreitung von Betta splendens, der Wild- und Ausgangsform aller Schleierkampffische, erstreckt sich über die Einzugsgebiete des Mekong in Teilen von Siam, dem heutigen Thailand, Vietnam, Laos und Kambodscha. Wahrscheinlich wurden in Thailand schon im 18. Jahrhundert Siamesische Kampffische in Gefäßen gehalten, domestiziert und gezüchtet, um Männchen in Wettkämpfen gegeneinander kämpfen zu lassen.

Zuchtziele waren damals weder eine besonders schöne Färbung noch eine eindrucksvolle Beflossung, sondern die Verstärkung des innerartlichen Aggressionsverhaltens. Für die Mitte des 19. Jahrhunderts ist belegt, dass der König von Siam für diese populären Kämpfe, über deren Ausgang Wetten mit hohem Geldeinsatz abgeschlossen wurden, offizielle Genehmigungen vergab und sie besteuerte.

Der Siamesische Kampffisch wurde 1909 von dem britischen Ichthyo­logen REGAN als Betta splendens wissenschaftlich beschrieben. Im Inter­-net gibt es zahlreiche Berichte mit der unzutreffenden Angabe, dass Theodor CANTOR, ein in Bangor lebender Mediziner, die Art bereits 1850 Macropodus pugnax genannt hätte. Seine Arbeit betrifft aber nicht den Siamesischen Kampffisch, sondern eine ganz andere Spezies, deren gültige Bezeichnung gegenwärtig Betta pugnax (CANTOR, 1950) lautet (ESCHMEYER 1998).

Ein Abriss der aquaristischen Geschichte des Siamesischen Kampf­fisches und seiner Zuchtformen, der „Schleierkampffische“, findet sich bei RACHOW (o. J.). Demnach gelangten die ersten Tiere bereits 1874 in den Besitz des französischen Züchters Pierre Carbonnier. Weitere Importe nach Frankreich, die von J. Jeunet im Aquarium vermehrt wurden, folgten 1892.

Zehn Paare dieser Nachzuchten erhielt 1896 der Zoohändler Paul Matte in Berlin, und ein Direktimport von Siamesischen Kampffischen nach Deutschland fand erstmals 1906 statt. Die ersten großflossigen Schleierkampffische erwarb die in Bremen ansässige Firma Stroop & Hellemann von Händlern in Singapur 1926 und führte sie nach Deutschland ein. Diese Zuchtformen beschreibt RACHOW (o. J.) wie folgt: „Bei den ‚Schleierkampffischen‘ … handelt es sich um nichts anderes als um ‚monströse Formen‘ des ‚gewöhnlichen‘ Kampffisches, – trotzdem sie im allgemeinen von sehr gefälligem Aussehen, oft sogar von einfach bestechender Schönheit sind. Schleierkampffische besitzen alle Hauptmerkmale der Art Betta splendens, zeichnen sich aber durch eine großartige Entwicklung namentlich der senkrechten Flossen aus, und meistens auch noch durch höchst gesteigerten Prunk des Farbkleides.“ Um 1930 gab es bereits – wie in einem zeitgenössischen Aquarell von Curt Bessiger abgebildet – zahlreiche Farbschläge, darunter einfarbig blaue, smaragdgrüne, gelbe, weiße, aber auch mehrfarbige Exemplare.

Ursprüngliche und neue ­Zuchtformen
In ihrem Habitus unterscheiden sich diese ursprünglichen Schleierkampf­fische von der kurzflossigen Wildform, die eine runde Schwanzflosse besitzt, insbesondere durch ihre stark verlängerte, großflächige, unsymmetrische Caudale, die fast die Länge des Körpers erreichen kann und deren Strahlen sich gewöhnlich nur einmal verzweigen. Zusätzlich sind ihre After- und Rückenflosse ebenfalls vergrößert. Schleierkampffische mit diesem traditionellen Habitus werden im Zoofachhandel immer noch am häufigsten angeboten.

In den vergangenen 30 Jahren schufen vor allem Züchter in den USA und in Asien auf der Grundlage der traditionellen Schleierkampffische eine ganze Reihe weiterer Zuchtformen mit neuen Farben und Flossenformen, beispielsweise mit abgerundeter, mit lanzettförmig zugespitzter und mit zwei­geteilter Schwanzflosse (LINKE 1989). Bei der Doppelschwanz-Variante sind der stark verlängerte obere und untere Lappen der Caudale bis zur Schwanzwurzel getrennt, sodass der Eindruck zweier übereinander angeordneter Flossen entsteht. Daneben hielten sich in der Aquaristik aber auch kurzflossige Zuchtformen, deren Aussehen der Wildform ähnelt und die als „Pla Kat“ oder „Plakat“ (thailändisch = „Beißfisch“) bezeichnet werden.

Während die ursprünglichen Schleierkampffische meist einfarbig rot, blau oder grün waren, kamen in den letzten Jahrzehnten Opalin-Formen, die einen fleischfarbenen Körper, aber farbige Flossen besitzen, Butterfly-Formen mit zweifarbigen Flossen und verschiedene sehr dunkel gefärbte Zuchtformen hinzu.

Halbmond-Kampffische
Eine neuere, besonders beliebte Form des Schleierkampffisches ist die sogenannte Halbmond-Variante, die eine stark vergrößerte, symmetrische, etwa D-förmige Schwanzflosse besitzt, deren gerade, äußere Ränder in gespreiztem Zustand einen Winkel von 180 Grad bilden. Die Entstehungsgeschichte dieser Zuchtform begann Ende der 1980er-Jahre in Frankreich, wo bei dem Züchter Guy Delaval die ersten Exemplare mit dieser Schwanzflossenform plötzlich auftraten. Der Schweizer Züchter Rajiv Masillamoni versuchte dann trotz vieler Rückschläge unverdrossen, von den Fischen ­einen erbfesten Stamm mit diesem Merkmal zu schaffen. Ein Erfolg stellte sich jedoch erst 1993 ein, nachdem sich auch amerikanische und französische Züchter an seinem Projekt beteiligt hatten.

In den folgenden Jahren wurden Exemplare dieser Zuchtform in Wettbewerben mehrfach ausgezeichnet, was ihr zu wachsender Popularität verhalf. Seit Beginn des neuen Jahrtausends wird die Halbmond-Varian­-te in größerer Zahl von asiatischen Züchtern exportiert. Weiterentwicklungen sind „Über-Halbmonde“, deren Schwanzflosse einen Winkel von über 180 Grad aufweist, sowie „Rosenschwänze“, bei denen die übergroßen unpaarigen Flossen überlappen und an eine Rosenblüte erinnern. Beide Zuchtformen sind jedoch als Qualzuchten anzusehen, da sie nicht mehr normal schwimmen können.

Kronenschwanz-Kampffische und „Elefantenohren“
Zu den besonders auffälligen Zuchtformen, die aus den ursprünglichen Schleierkampffischen hervorgingen, zählt die gegen Anfang dieses Jahrhunderts aus einer Mutation entstandene Kronenschwanz-Variante, deren besonderes Merkmal darin besteht, dass die Strahlen ihrer unpaarigen Flossen um ein Drittel oder gar die Hälfte ihrer Länge über die Flossenmembranen hinausragen. Der Rand der Schwanzflosse erinnert deshalb entfernt an den oberen, mit Zacken besetzten Teil einer Krone. Aus Kreuzung der Kronenschwanz-Variante mit Kampffischen anderer Schwanzflossenformen ging die Kammschwanz-Variante hervor, deren frei endende Flossenstrahlen kürzer sind.

Die vor etwa zehn Jahren erstmals ausgestellten „Elefantenohren“ sind die bisher jüngste Zuchtform. Sie zeichnen sich durch überdimensio­nale Brustflossen aus, die zusätzlich nicht – wie bei der Wildform – farblos und transparent, sondern wie die übrigen Flossen auffällig gefärbt sind. Inzwischen gibt es derartige „Elefantenohren“ nicht nur bei den kurzflos­sigen Zuchtformen und den ursprünglichen Schleierkampffischen, sondern auch bei der Halbmond- und der Kronenschwanz-Variante.

Vereinigungen von Liebhabern und Züchtern
Dass die Pflege und Zucht von Fischen, die es in der Natur gar nicht gibt, inzwischen ein wichtiges Segment der Aquaristik bildet, wird nicht nur durch nationale und internationale Vereinigungen belegt, die sich ausschließlich mit Guppys oder Diskusfischen beschäftigen. In vielen Ländern fanden längst auch die Liebhaber und Züchter von Kampffischen in zahlreichen nationalen und internationalen Organisationen zusammen, die weltweit miteinander vernetzt sind und einem besseren Erfahrungsaustausch über diese Fische dienen sollen; eine der größten und einflussreichsten ist der 1963 in den USA gegründete International Betta Congress (IBC).

Die Vereinigung, deren Mitglieder weltweit verstreut sind, hat eine eigene Website (www.ibcbettas.org), gibt eine Mitgliederzeitschrift heraus und veranstaltet Jahr für Jahr eine große und internationale Leistungsschau, auf der Zuchtformen von B. splendens ausgestellt, be­wertet und prämiert werden. Dafür wurden im IBC für die verschie­denen Formen Bewertungsklassen und -kriterien erarbeitet, die nicht nur die Einzelheiten ihres jeweiligen optimalen Aussehens beschreiben, sondern auch unerwünschte und als Fehler einzustufende Merkmale auflisten.
Eine vergleichbare nationale Vereinigung ist der Arbeitskreis Labyrinthfische im Verband Deutscher Vereine für Aquarien und Terrarienkunde (VDA).

von Wolfgang Staeck

Literatur
ESCHMEYER, W. N. (Hg.) (1998): Catalog of fishes. – California Academy of Sciences, San Francisco.
LINKE, H. (1989): Labyrinthfische: Farbe im Aquarium. – Tetra-Verlag, Osnabrück.
RACHOW, A. (o. J.) in: HOLLY, M., H. MEINKEN & A. RACHOW (1927 ff.): Die Aquarienfische in Wort und Bild. Loseblattsammlung, Lieferung 24, 10, Blätter 163–165; 167–169. – Alfred Kernen Verlag, Stuttgart.