Draufgänger
Wert auf Tropenreisen in entlegenen Ecken der Welt nach Fischen sucht, braucht kein extrem trainierter „Draufgänger“ oder gar „Indiana Jones“ zu sein, sollte sich aber auch nicht vor allem und jedem fürchten. Natürlich darf man nicht zu sehr am Luxus hängen und tut gut daran, an sich selbst und seine Fähigkeiten zu glauben, möglicherweise auftretende Schwierigkeiten zu meistern. Das gilt auch, wenn man sich einer Gruppe anschließt, für die man sonst zum „Klotz am Bein“ wird und den Spaß an einer solchen Abenteuerreise verdirbt.

Mit meinen Reisegefährten hatte ich immer Glück. Sie nahmen Unbequemlichkeiten und Strapazen in Kauf und beteiligten sich an den zwangsläufig anfallenden, bei tropischer Hitze oft anstrengenden und nervenden Arbeiten, ohne groß zu murren. An einmal gemeinsam getroffenen Entscheidungen wurde nie herumgemäkelt, und die gefangenen Fische wurden stets einvernehmlich geteilt. In anderen Reiseteams kam es dagegen gelegentlich zu Reibereien, über einen solchen Fall will ich hier, gewissermaßen „aus zweiter Hand“, berichten. Den Freund, der die Gruppe um sich geschart hatte, um in Guatemala nach Fischen zu suchen, hatte ich selbst auf verschiedenen Reisen als durchaus verlässlichen, umgänglichen und verantwortungsbewussten Begleiter kennengelernt. Ich hege keinen Zweifel, dass alles stimmt, was er berichtete …

Eines der Ziele seiner Reise war, zum Río Champey zu fahren, um die hier abgebildete Lokalform des Buntbarsches Chuco godmanni zu fangen. Doch der glasklare Fluss, dessen Wasser zügig über Kalksteinuntergrund strömt und mehrere tiefe Kolke ausgewaschen hat, ist nicht ganz einfach zu erreichen. 1985 hatte ich mich nämlich selbst von Cobán aus, wo man übernachten kann, ostwärts über die Ansiedlungen von Chelac und Pajal und vorbei an den Höhlen von Lanquín dorthin gequält. Die Strecke ist nicht einmal lang, die Piste aber in katastrophalem Zustand, sodass wir für wenig mehr als 60 Kilometer mit dem Allradfahrzeug fünf Stunden unterwegs waren. Auch mein Freund traf es nicht besser an, er war aber vorgewarnt und hatte mit seinen Leuten abgemacht, zumindest eine Nacht an Ort und Stelle zu bleiben, also in Hängematten im Saumwald des Flusses zu übernachten. So weit, so gut. Allerdings hat das Abenteuer, das man erträumt und plant oder von dem man erzählt, mit der Wirklichkeit leider nicht immer viel gemein.

Die Gruppe erreichte also den Fluss, sie schnorchelte in seinem glasklaren Wasser und begann noch am Nachmittag, geeignete Schlafplätze zu suchen und alles für die Übernachtung vorzubereiten. Noch war alles gut. Doch als kurz nach 18 Uhr die Dunkelheit hereinbrach, gingen einem Mitglied der Reisegruppe, einem 110-Kilo-Hünen von Mann, die Nerven durch. Es begann damit, dass er lauthals schimpfte, sich überhaupt auf so etwas eingelassen zu haben, dass er sicher von Mücken und Skorpionen gestochen und von Spinnen und Ameisen gebissen werde und gar nicht erst an die blutsaugenden Vampirfledermäuse und die sicher um das Lager herumschleichenden Raubtiere, Diebe und Mörder denken wolle. Dabei fuchtelte er mit eingeschalte- ter Taschenlampe herum, suchte den Wald und das gegenüberliegende Ufer ab und war nicht davon zu überzeu- gen, dass er so doch nur auf sich aufmerksam mache. Ihren Höhepunkt fand die Angstattacke in seinem Versuch, den Autoschlüssel an sich zu bringen, um noch in der Nacht zurückzufahren!

Bleibt zu erwähnen, dass er schließlich doch beruhigt werden konnte, weder von Pumas noch von Ameisen gefressen wurde – und dass er in der Zeitung seiner Heimatstadt wenige Wochen später darüber berichtete, welchen schrecklichen Gefahren er (und sein Team) in Guatemala auf heroische Weise getrotzt hatten. Von Uwe Werner