Meine Polyester-Hose, die mich dank eines eingesetzten Keils am Gesäß seit 30 Jahren begleitet, ist alles andere als modisch gefärbt und geschnitten, das Oberhemd hat die gesamte Reisezeit im Koffer verbracht und ist meist zerknittert, was insbesondere für den Kragen gilt, dessen Ecken dann gern nach oben weisen, der abgewetzte, wenn auch bequeme Pulli hat ganz offensichtlich bessere Zeiten gesehen, und zudem trage ich, egal zu welcher Jahreszeit ich zurückkomme, alte und ausgelatschte Sandalen, die nach meiner Heimkehr in den Müll wandern. Schließlich muss das gesamte Outfit zum zerbeulten Koffer und der fleckigen und zerschlissenen Fototasche passen, die mir ebenfalls schon viele Jahre treue Dienste leisten. Derart „aufgebrezelt“ saß ich zusammen mit meinem Freund Hans-Günther im Intercity vom Frankfurter Flughafen ins Ruhrgebiet, als eine adrett gekleidete junge Dame zustieg und sich nach kurzem Gruß – jenseits des Gangs – in dieselbe Reihe setzte. Schon wenig später bemerkte ich, dass sie mich zwar möglichst unauffällig, aber doch etwas verwundert musterte und sich offenbar fragte, aus welchem Grund ich denn wohl derart abstrus gekleidet war. Das konnte ich nicht einfach so hinnehmen und überlegte, was ich tun könne. Schließlich ging ich, leicht amüsiert lächelnd, mit der Bemerkung in die Offensive, sie habe ihren Mantel wohl aus Versehen verkehrt herum angezogen – die Taschen seien seltsam aufgeheftet und sämtliche Nähte zeigten doch nach außen. Wie man nur so herumlaufen könne … Wohlwollend nachsichtig erklärte sie mir, das sei gewollt, der Mantel sei ein teures Designer-Stück, das ihr die Mama zum bestandenen Examen geschenkt habe. Also frotzelte ich, dass auch ich nur Designer-Klamotten trüge, und verwies auf die schon erwähnten Details, was natürlich dazu führte, dass wir ins Gespräch kamen und ich erklären konnte, warum ich derart gekleidet war. Sie zeigte sich sehr interessiert und berichtete im Gegenzug von ihren Prüfungen und ihren Berufsplänen. Die Arme wollte doch tatsächlich Lehrerin werden! Ich versuchte erst gar nicht, es ihr auszureden, sondern drohte ihr: Wenn es der Zufall wolle, sitze sie womöglich schon bald in einem meiner Fach- oder Hauptseminare in Arnsberg oder Dortmund ... Aber dorthin wollte sie sowieso nicht. Dennoch hatten wir ein für uns beide interessantes Thema gefunden, sprachen über ihre Fachkombination, den Vorbereitungsdienst, die „Zweite Staatsprüfung für Lehrämter“ und natürlich „Schule“ an sich, sodass die Zeit, obwohl wir gar nicht im Flieger saßen, wie im Flug verging. Als sie aussteigen musste, verabschiedeten wir uns wie alte Freunde, die sich schon lange kennen. Und so fand ich auch nichts Besonderes dabei, ihr zum Schluss noch einen gut gemeinten Rat mit auf den Weg zu geben. „Und wenn Sie dann im Dienst sind“, meinte ich schmunzelnd, „kaufen Sie sich mal einen ordentlichen Mantel. Sonst trauen sich Ihre Schüler womöglich nicht mit Ihnen auf die Straße …“
Von Uwe Werner