Das gut vier Meter lange Riffbecken des Internisten Thomas Riddermann in der Bergstraße erfüllt gleich mehrere Zwecke: Es erfreut die Mitarbeiter der Praxis, es beruhigt die wartenden Patienten – und es lockt so manchen neugierigen Besucher an.  | Von Rainer Stawikowski

Schon als Vier- oder Fünfjähriger hatte Thomas Riddermann, Jahrgang 1959, Kontakt mit und Interesse an tierischen Wasserbewohnern: Sein erster Fisch war ein Goldfisch, dessen bescheidenes Heim allerdings ein Gurkenglas war …


„So richtig“ begann es mit der Aquaristik nur wenige Jahre später. Rund um Marl – nicht mehr ganz im Ruhrgebiet gelegen, eher schon am südlichen Rand des Münsterlands – gab und gibt es viele größere und kleinere Gewässer. So zog der siebenjährige Thomas im Frühling und Sommer hinaus, um in den Bächen der Umgebung Kaulquappen und Stichlinge zu fangen, die sich ebenfalls in Gurkengläsern halten und so aus der Nähe betrachten und erforschen ließen.

Im Sommer waren Thomas und seine Freunde, inzwischen zehn oder elf Jahre alt, gern „Winnetou und Old Shatterhand“. Eines ihrer aufregendsten Abenteuer, erinnert er sich, war das „Karpfenstechen“ im Mühlenteich, einem idyllischen Gewässer, das heute noch beliebtes Wochenend-Ausflugsziel für viele Ruhrgebietler ist. Die Fischjagd verlief zwar nicht sonderlich erfolgreich, führte aber dazu, dass Old Shatterhand alias Thomas Riddermann seine ersten Sozialstunden ableisten durfte. Der Parkaufseher erwischte den kleinen Jäger und verdonnerte ihn dazu, die Wege zu fegen …

Das tat Thomas’ Leidenschaft für Fische jedoch keinen Abbruch, im Gegenteil. Mit dem Heranwachsen nahm das Interesse an der Aquaristik noch zu, und so stellte er im Keller des Elternhauses gleich mehrere Becken auf, in denen er vor allem Buntbarsche pflegte und vermehrte. Ein Höhepunkt jener Phase war ein 1.500 Liter großes Malawisee-Aquarium, auf das der mittlerweile 15-Jährige unheimlich stolz war. In dieser Zeit, um 1974 herum, setzte neben der „Njassasee“  auch die „Diskus-Welle“ ein, und alles, was in Ruhrgebiet und Münsterland aquaristisch etwas auf sich hielt, traf sich in den führenden Aquariengeschäften. Regelmäßige Besuche bei Einhaus in Haltern, Schmidt in Lünen oder Blecha in Witten-Stockum waren unumgänglich, wusste man doch nie, welche Neuheit gerade in den Verkaufsbecken schwamm.

Thomas Riddermann blieb der Süßwasseraquaristik lange treu. Erst viele Jahre später entdeckte er, dass es in den Meeren ebenfalls wunderschöne Fische gibt, die man an Ort und Stelle, sprich unter Wasser, selbst besuchen, die man aber auch daheim im Aquarium beobachten kann. Es war 1991, als sich in dieser Hinsicht gleich mehrere Dinge ereigneten.
Das Studium erfolgreich hinter sich gebracht, hatte Dr. med. Thomas Riddermann, Fachgebiet Innere Medizin, inzwischen seine eigene Arztpraxis in Marl-Polsum eröffnet. Im selben Jahr verbrachte er mit seiner Frau Maria-Luise einen Tauchurlaub auf den Malediven. Die dort erlebte Unterwasserwelt mit ihren bunten Bewohnern, Fischen wie Wirbellosen, beeindruckte ihn dermaßen, dass er sofort beschloss, ein Korallenriffaquarium aufzustellen; das Wartezimmer in der Praxis schien für dieses Vorhaben genau der richtige Ort.

Ebenfalls 1991 lernte Thomas Riddermann Peter Burda kennen, der gemeinsam mit seiner Frau Annette das führende Zoofachgeschäft Gelsenkirchens betreibt – „Burda’s Zoo“ im Stadtteil Buer – und dort für die sehenswerte Meerwasserabteilung zuständig ist. Thomas und Peter verstanden sich auf Anhieb, und so kam es, dass Burda noch im selben Jahr den hier vorgestellten Blickfang baute.

Die Größe des Beckens war durch den vorgesehenen Standort vorgegeben. Es sollte die längste Wand des Wartezimmers zieren, direkt gegenüber der Eingangstür. Dort steht es heute noch, gut vier Meter lang, 70 Zentimeter tief und einen Meter hoch. Gern hätte man es etwas tiefer gehabt, was aber aufgrund der räumlichen Gegebenheiten leider nicht möglich war. Das weiß der unbefangene Betrachter natürlich nicht; außerdem ist das Becken geschickt wie ein Ausschnitt aus einer Korallenriffwand gestaltet und mit sessilen Wirbellosen besetzt.

Die im Keller verborgene Filtertechnik besteht aus sieben großen Filterbehältern à 300 Liter (Regenwassertonnen aus dem Baumarkt), zwei Eiweißabschäumern, UV- und Ozonanlage, die Beleuchtung aus drei HQI-Strahlern à 400 und vier T8-Neon- ­röhren (blau) à 36 Watt; in der näheren Zukunft sollen jedoch LED-Leuchten zum Einsatz kommen.

Ursprünglich gehörten auch kleinpolypige Steinkorallen zum Besatz des Beckens. Es stellte sich jedoch heraus, dass der Pflegeaufwand für solche Tiere in einem Wartezimmer-Aquarium zu hoch ist; insbesondere der Nitratgehalt des Wassers erreichte ungünstige Werte. Da es sich zudem schnell zeigte, dass die meisten Patienten vor allem schöne Fische sehen möchten, beschränkt sich der Bestand der sesshaften Niederen Tiere heute auf einfacher zu pflegende Arten: wenige großpolypige Steinkorallen sowie in erster Linie Weichkorallen und Seeanemonen. Einige Seeigel, See- und Schlangensterne sowie Einsiedlerkrebse beleben die Dekoration. Sie fühlen sich in der kräftigen Strömung, für die die beiden Filterpumpen mit ihrer Leistung von 20 Kubikmetern pro Stunde sorgen, unterstützt von einer zusätzlichen Strömungspumpe („Red Dragon“, 10.000 Liter pro Stunde), sichtlich wohl.

Das gilt auch für die etwa 50 Fische, die das Wartezimmer-Riff bevölkern und von denen Fledermaus-Segelseebader (Zebrasoma veliferum), Paletten- (Paracanthurus hepatus) und Kreisdorn-Doktorfisch (Acanthurus cf. tennentii), Rotmeer-Wimpelfisch (Heniochus acumineatus), Falscher Clownfisch (Amphiprion ocellaris, die schwarze Variante) sowie Augenfleck-Spitzkopfkugelfisch (Canthigaster solandri) besonders ins Auge fallen.

So schön wie das Aquarium ist, so interessant sind die Geschichten, die sich im Lauf der Zeit rund um das Becken zutrugen, manchmal sogar richtig spannend: Einmal wurde eine der in den Keller führenden Rohrleitungen undicht, das austretende Wasser flutete das Geschoss, natürlich auch jenen Raum, den der Vermieter des Hauses hübsch hergerichtet hatte, ausgerechnet mit Teppichboden ... Ein anderes Mal riss die mittlere Querverstrebung, die man als zusätzliche Sicherung zwischen Front- und Rückscheibe des Aquariums angebracht hatte; die Vorderscheibe, immerhin aus 16-Millimeter-Glas, bog sich bedrohlich, platzte aber nicht. Dennoch entfernte man ganz schnell das Wasser aus dem Becken, das dann rasch neu verklebt wurde …

Richtig ärgern musste Thomas Riddermann sich über sein Finanzamt: Dort mochte man zunächst nämlich nicht einsehen, warum er das Wartezimmer-Aquarium steuerlich geltend machen wollte. Nach einigem Hin und Her gelang das aber doch, und heute sagt der Internist, dass die Investition sich gelohnt hat: Das Becken kommt bei seinen Patienten ausgesprochen gut an, immer wieder bestätigen sie ihm, dass sie sich in seiner Praxis wohlfühlen, weil der Blick in das bunte Korallenriff sie gleich gefangen nimmt, von Sorgen ablenkt, eben einfach beruhigt. Denselben Zweck erfüllen übrigens auch die großformatigen Fotos, die die Wände der Praxisräume schmücken; Erinnerungen an Reisen zu tropischen Tauch- und Schnorchelgründen auf den Seychellen, in Thailand, Bali oder Ägypten.

Seit gut 20 Jahren ist das nun schon so. Da verwundert es auch nicht, dass mancher Patient es durchaus nicht übel nimmt, wenn der Herr Doktor – ganz „praktischer Arzt“ – „mal eben“ einen spontan begonnenen Wasserwechsel zum Ende bringen muss, bevor es im Behandlungszimmer weitergeht. Dass Gruppen aus dem benachbarten Kindergarten zum Besichtigen der Fische kommen, ist schon lange nichts Ungewöhnliches mehr, wie auch die neugierigen bis staunenden Gesichter von Kunden aus der Eisdiele gegenüber, die gern einmal einen Blick durch das Wartezimmerfenster in das Aquarium werfen.

Bei den Mitarbeitern ist das Riffbecken ebenfalls beliebt. So lassen es sich zwei der Helferinnen nicht nehmen, kleinere Pflegemaßnahmen, wie sie nun einmal regelmäßig anfallen – füttern etwa oder Scheiben putzen –, mit Sorgfalt und Hingabe zu erledigen, was ich aus eigener Anschauung bestätigen kann.