Das Aquarium von Jens Wieners steht zwischen Wohnzimmer und Küche. Je nach Standort bietet sich dem Betrachter ein anderes, aber immer schönes Bild. | Von Rainer Stawikowski


Jens Wieners, Jahrgang 1967, wuchs in Stiepel auf, einem Bochumer Stadtteil mit Wald und Gewässern. Er gehört zu den Glücklichen, die schon als Kind ihre Liebe zur Natur entdeckten: „Kaum konnte ich laufen, da bin ich ins Gebüsch und hab im Wasser Tiere gefangen.“ Zu Hause hielt Jens seine Kaulquappen, Molche und Stichlinge in Einmachgläsern, Vasen und allen möglichen weiteren „Nano-Aquarien“. Das Interesse an Wasser und seinen Bewohnern ist geblieben. Nur nach dem Ende der Schulzeit, während der Ausbildung zum Elektriker (diesen Beruf übt Jens nach wie vor aus), ließ es für ein paar Jahre nach, als weitere, neue Leidenschaften ihren Anteil an der nun knapper bemessenen Freizeit forderten (Musik, Mofas, Mädchen ...).
Nach abgeschlossener Ausbildung, mit 18 oder 19 Jahren, ging es aber wieder los. Zusammen mit einem Freund wandte Jens sich der Terraristik zu. Gemeinsam fingen und pflegten die beiden Lurche und Kriechtiere. Damals, Mitte der 1980er-Jahre, gab es in der Nachbarstadt Gelsenkirchen, Ortsteil Horst, noch etliche Tümpel, in denen sich im Frühling viele Kammmolche einfanden. Doch das Gelände wurde Bauland, das Ende der Gewässer war abzusehen.
Was tun? Jens und sein Freund sammelten so viele Triturus cristatus wie möglich ein und setzten sie in anderen Habitaten wieder aus. „Einige behielten wir aber auch für unsere Terrarien“, gesteht Jens, „das würde ich mich heute nicht mehr trauen.“ Als Jens seine erste eigene Wohnung bezog, fand darin neben seinen Terrarien ein 120 x 50 x 50 Zentimeter großes Süßwasser-Aquarium mit Skalaren und Lebendgebärenden Platz.
Doch auf die Dauer war dieses Gesellschaftsbecken nicht so spannend, da waren Diskusfische eine größere Herausforderung. Vor allem grüne Wildfänge waren seinerzeit gefragt, Nachzuchten mühelos an den Mann, sprich Zoohändler, zu bringen. Jens baute seine Terrarien ab und eine Batterie aus 15 Aquarien auf, die meisten in Würfelform (50 x 50 x 50 Zentimeter), für die Zuchtpaare. Einige Panzer und Saugwelse dienten als Beifische, ein Vollentsalzer („von der Arbeit mit gebracht“) sorgte für das passende Zuchtwasser. Alles lief prima, bis Jens zum Jahreswechsel 1992/1993 berufsbedingt nach Dorsten zog. Außerdem war 1991 Martina Meier in sein Leben getreten.
Wie gut, dass Martina nicht nur tierlieb, sondern auch aquaristisch vorbelastet war, betrieb ihr Vater doch jahrelang erfolgreich eine Cichliden- Zucht! So bot die gemeinsame neue Wohnung Raum für ein richtig großes Süßwasserbecken, 200 x 85 x 70 Zentimeter. Doch irgendwie lief es nicht so gut, und Jens löste das Aquarium bald wieder auf. Bei einem Bochumer Zoohändler hatte er die Meeresaquaristik kennengelernt und sofort Gefallen daran gefunden. Als sich die Gelegenheit bot, ein Meerwasserbecken „mit allem Drum und Dran“ günstig zu übernehmen, rüstete er das alte Zwei- Meter-Bassin auf Salzig um und war stolz auf seine ersten Korallen, Doktorfische und Riffbarsche. Erneut folgte eine Phase stetigen Wachstums. Alle drei oder vier Jahre musste ein geräumigeres Becken her.
Schließlich kauften Jens und Martina die Nachbarwohnung, und Jens schuf mittels Wanddurchbruch Platz für sein bis dahin größtes Aquarium (220 x 100 x 90 Zentimeter) ... Als die beiden 2007 beschlossen zu bauen, planten sie von vornherein ein großes Riffbecken ein. Seit 2008 ist dieses Aquarium, unser Blickfang, nun in Betrieb, stolze 300 x 120 x 95 Zentimeter groß, vom Wohnzimmer und von der Küche aus einsehbar.
Mir gefällt die „Küchen-Seite“ besser, denn hier ist der Bewuchs üppiger als auf der „Wohnzimmer-Seite“, aber das ist sicher Geschmacksache. Tatsache ist aber, dass ein Aquarium „ohne Vorne und Hinten“ schwieriger einzurichten ist als ein herkömmliches. Jens hat in der Mitte der Bodenfläche der Länge nach einen mehrstöckigen Sockel aus toten Riffplatten (aus China) errichtet und diesen betonierten Aufbau überwiegend mit großpolypigen Stein-, aber auch Weich- und Lederkorallen besetzt. Einige Stöcke stammen noch aus dem Vorgänger-Becken, andere sind nach und nach hinzugekommen. Erhellt wird das Riff von 16 T5- Leuchtstoffröhren à 80 Watt (vier blauen, vier à 15.000 K und acht à 10.000 K), zwei LED-Panels zu je 750 Watt (weiß und blau) sowie einigen „Moonlight“-LEDs. Die SPS-geschaltete (SPS = „speicherprogrammierbare Steuerung“) Beleuchtung setzt um zwölf Uhr ein, erreicht gegen 17 Uhr (dann hat Jens Feierabend) ihre volle Leistung, wird bis 23.30 Uhr wieder heruntergedimmt und endet mit dem separat geschalteten Mondlicht. Je ein Lüfter über dem Aquarium und über dem Filter im klimatisierten Technik- Kellerraum (18 °C) gewährleisten, dass das Wasser sich nicht über 26 °C hinaus erwärmt. Für die Wasseraufbereitung sorgen zwei 170 x 70 x 45 Zentimeter große Filterbecken mit Lebendgestein und je einem Abschäumer, außerdem ein Phosphatfilter, ein Kalkreaktor, eine Osmose-Anlage (1.500 Liter pro Stunde, aus dem Krankenhausbedarf) und ein Ozonisator (pro Woche 24 Stunden in Betrieb). Eine Motorpumpe (20.000 Liter pro Stunde) befördert das gereinigte Wasser zurück ins Aquarium. Zwei unter dem Aquarium unabhängig vom Filterkreislauf installierte Strömungspumpen (à 17.000 Liter pro Stunde) sorgen für die erwünschte Wasserbewegung. Ihr hoher Stromverbrauch ist zweifellos ein Nachteil, doch ist dieses System eleganter als im Becken betriebene Tauchpumpen. Hier scheint mir der Hinweis angebracht, dass Jens leidenschaftlicher Elektriker ist: Er hat ein System ausgeklügelt, das es ihm gestattet, „von jedem Ort der Welt aus“ die wichtigsten Wasserparameter in seiner Anlage zu überwachen (Temperatur, Leit- und pH-Wert) und bei Bedarf einzugreifen. So kann er etwa die Wärme erzeugende T5-Beleuchtung vom Urlaubsort aus einfach abschalten. Da sein Technikraum mit Webcams ausgerüstet ist, kann er jederzeit einen Blick hineinwerfen und gegebenenfalls per Anruf, SMS oder E-Mail seinen Nachbarn bitten, „kurz nach dem Rechten zu sehen“ – endlich ein Beispiel für eine sinnvolle Hightech-Überwachung ... Und welche Tiere genießen diese allumfassende technische Fürsorge? Der Besatz nicht sesshafter Wirbelloser ist überschaubar: fünf Kardinalsgarnelen (Lysmata debelius), ein Grüner und zwei Rote Schlangensterne (Ophiarachna incrassata, Ophioderma rubicundum) krabbeln und kriechen umher. Einige grabende Seesterne (Archaster angulatus) und Braune Seegurken (Isostichopus fuscus) lockern den Kiesboden auf. Der Steinkorallenbestand setzt sich vorwiegend aus Arten der Gattungen Acanthastrea, Acanthophyllia, Acropora, Alviopora, Blastomussa, Caulastrea, Euphyllia, Lobophyllia, Montipora und Seriatopora zusammen, die Weich- und Lederkorallen sind unter anderem mit Clavularia, Lobophytum, Nephthea, Sarcophyton und Sinularia vertreten.
Wie viele Fische in dem Riff leben, kann Jens nicht genau sagen. Zu den auffälligsten gehören jeweils fünf Zebrasoma flavescens und Z. xanthurum, je ein Z. gemmatum, Acanthurus maculiceps, A. japonicus, Chelmon rostratus und Pictilabrus brauni, drei Halichoeres chrysus, je zwei Centropyge loriculus und Synchiropus splendidus sowie vier Pseudochromis fridmani. Außerdem fallen mehrere Pseudanthias squamipinnis und Nemanthias carberryi sowie ein Amphiprion-ocellaris- Paar ins Auge. Mit diesem Besatz ist Jens ganz glücklich. Er harmoniert, die Tiere kommen gut miteinander aus. Und: Martina gefällt die „Mischung“ ebenfalls, das ist ja auch wichtig! Es ist nicht zu übersehen, die Meeresaquaristik hat Jens voll in ihren Bann geschlagen. Vor einigen Jahren gönnte er sich eine Tauchausbildung, weil er unbedingt die natürlichen Lebensräume seiner Pfleglinge kennenlernen wollte. Von den bisher besuchten Tauchgründen gefällt ihm das Rote Meer in Ägypten am besten. Dorthin soll es im Oktober wieder gehen, zusammen mit einigen Freunden. Jens freut sich schon darauf, zumal er sich um seine Anlage keine Sorgen zu machen braucht. Er kann ja jederzeit nachsehen, ob daheim alles in Ordnung ist.