Es ist ja auch letztlich eine Zusammenstellung von Nachrufen. Gegliedert in vier Kapitel werden 70 Arten oder Artengruppen vorgestellt. Dabei versucht der Autor, Ursachenbündel für das Aussterben zu benennen und am konkreten Beispiel zu verdeutlichen. Er beginnt mit dem „Artensterben in prähistorischer Zeit“. Riesenbeutler (Diprotodon optatum), Moa (Emeus crassus) oder Elefantenvogel (Aepyornis maximus) sind Beispiele für die im weiteren Verlauf der jüngeren Erdgeschichte immer wieder zusammenwirkenden Faktoren: ein grundlegender Wandel der Umweltbedingungen, kombiniert mit dem ersten Auftreten der sich über den Planeten ausbreitenden Tierart Mensch. Dann geht es weiter in die Zeit der Forschungsreisen und der Kolonialisierung von 1681 bis 1945. Das bekannteste Beispiel aus dieser Epoche ist der Dodo (Raphus cucullatus). Der „komische Vogel“ lebte auf einer Inselgruppe nahe Mauritius. Aufgrund seiner seltsamen Erscheinung wurde der Laufvogel als „federgeschmückte Schildkröte“ bezeichnet. Das hielt die Besucher der Maskarenen aber nicht davon ab, die auch „Dronte“ genannten Tiere in großer Zahl zu erschlagen und schlicht und ergreifend als Frischfleisch für Schiffsbesatzungen zu nutzen. Die Hangwachtel (Ophrysia superciliosa) wurde vom englischen Militär in Indien zu Jagdzwecken ausgerottet. Dem Falklandwolf (Dusicyon australis) wurde seine Zutraulichkeit zum Verhängnis. Er schwamm den Besuchern sogar entgegen und wurde so zu einer leichten Beute. Im Jahr 1876 wurde der letzte Wolf erschlagen. Dabei ging es natürlich um die begehrten Felle, es trat aber auch das immer wiederkehrende Motiv der Ausrottung zutage: Der Neuankömmling Mensch erklärte die Wölfe zu Nahrungskonkurrenten und beseitigte sie mit allen Mitteln. Ein Beispiel aus dem 20. Jahrhundert ist der Elfenbeinspecht (Campephilus principalis). Er lebte in Sumpfwäldern im Südosten der USA und fiel der Jagd und der zunehmenden Landnutzung in einem „hochentwickelten“ Land zum Opfer. Nach seinem scheinbaren Aussterben zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden 1938 Restbestände entdeckt, doch bereits 1944 war auch an deren Fundort kein einziges Exemplar mehr nachweisbar. Bis heute hält sich bei amerikanischen Ornithologen allerdings die Vorstellung, dass einige Individuen doch überlebt haben könnten ... Dann folgt im „Bestiarium“ ein Wechsel in die Zeit bis zur Gegenwart, und hier treffen wir auf die ersten Fischarten. Mit den „Fischen des Viktoriasees“ sind die in diesem ostafrikanischen See endemischen Buntbarsche der Gattung Haplochromis und verwandter Genera gemeint. Als Beispielart wird H. bareli vorgestellt, für die es seit 1985 keinen Lebendnachweis mehr gibt. Das Aussterbeereignis dieser Cichliden infolge der Einfuhr von Nilbarschen (Lates niloticus) verdeutlicht einen wichtigen Aussterbefaktor der heutigen Zeit: Verdrängung endemischer Spezies durch vom Menschen (oder durch sein Tun) verschleppte Arten. An der Universität in Leiden wurde viel über die betroffenen Fische geforscht, und einige dieser Cichliden werden auch heute noch durch die Anstrengungen von Liebhabern in Aquarienpopulationen erhalten. Eine Rückbesiedelung des Sees wird aber wohl für immer ausgeschlossen sein, da der Mensch dieses Gewässer zu nachhaltig verändert hat. Stummelfußf rösche (Atelopus spp.) wurden erst 1981 für das Museum in Ecuador gesammelt. Gefunden wurden sie in einer Höhe von 4.000 Metern über dem Meeresspiegel, in einer Gegend, die keinerlei kommerziellen Interessen unterliegt (zumindest derzeit). Dennoch waren schon 1988 alle Arten einfach verschwunden, Sie fielen dem rätselhaften und weltweiten Amphibiensterben zum Opfer, ausgelöst durch den vom Menschen rund um den Planeten getragenen Hautpilz Chytridium und die globalen Veränderungen, denen kein Organismus entgehen kann – letztlich aber mit einer Aussterbegeschichte, die wir bisher nicht vollständig erklären können. Besonders interessant ist das Schlusskapitel, überschrieben mit „Varianten und Kontroversen“. Darin geht es um Arten, die eigentlich noch gar nicht ausgestorben sind oder bei denen es Versuche zu Rückzüchtungen oder Rekonstruktionen gibt. Hier sei der Spix-Ara (Cyanopsitta spixii) genannt, ein relativ klein bleibender Papagei, der ursprünglich im brasilianischen Regenwald vorkam. 1819 von dem deutschen Naturforscher Johann Baptist von Spix entdeckt, wurde dieser Papagei seiner hübschen Gefiederfarbe und letztlich seiner Seltenheit zum Verhängnis. Private Liebhaber bezahlten hohe Summen für tote und lebende Tiere, und im Jahr 2000 gab es keinen einzigen Nachweis mehr für in Freiheit lebende Individuen. Allerdings besteht hier die Möglichkeit, Tiere aus Gefangenschafts-Populationen auszuwildern. Die brasilianische Regierung hat zu diesem Zweck ein Zentrum eingerichtet und Kooperationsabkommen mit den Besitzern der noch lebenden Tiere geschlossen. Gehalten werden die meisten Individuen übrigens von Scheichen in den arabischen Emiraten – und von deutschen Vogelliebhabern! Vielleicht ist für die Art also das Leben auf diesem Planeten noch nicht zu Ende. Aber die mögliche Auswilderung weist auch auf das letztlich unlösbare Dilemma der heutigen Entwicklung hin. Selbst wenn es gelingt, den Spix-Ara umfangreich in Gefangenschaft nachzuzüchten, sind seine Regenwald-Lebensräume in Brasilien inzwischen wahrscheinlich ebenso bedroht wie die Tierart selbst. Ein kurzes Fazit: Insgesamt ist das „Bestiarium“ ein wunderbares, zugleich jedoch ein schreckliches Buch, zeigt es doch die Vielfalt des Lebens auf diesem Planeten, aber eben auch die unendliche Kraft von Homo sapiens sapiens zur nachhaltigen Veränderung und Zerstörung unserer Lebensräume. Hans-Peter Ziemek