Schlägt man also das Buch richtig falsch herum auf (zumindest mein Exem­plar), kann man loslesen. Die Autorin tut das, was auch Meeresbiologen gern anstellen; sie teilt das Meer in Zonen ein, in seichte Gewässer (Flachwasser, Küsten), Wälder der Meere (Tang-Wälder), Korallenriffe, blaue Weite (Hochsee) und Tiefe (Tiefsee). Das gefällt mir, denn so findet man sich schnell im jeweiligen Lebensraum zurecht. Etwas ungewöhnlich sind allerdings die Bezeichnungen, aber das Buch ist ja für Kinder gedacht. Passt also.
Was mir we­niger gut gefällt, ist die Tatsache, dass die Tiere und Pflanzen, die nun erklärt werden, mal aus den Tropen, mal aus kalten Regionen stammen. Eine geografische Orientierung hat man also nicht. Und hier merkt man auch, dass die Autorin aus dem amerikanischen Raum stammt. Für sie ist es selbstverständlich, dass riesige Tang-Wälder an der Küste vorkommen (nämlich im Westen der USA) und dass dort Seelöwen und Seeelefanten leben. Für uns Europäer hingegen ist das schon ziemlich weit weg und ein wenig exotisch.
Für Familien, die in den Ferien eher ans Mittelmeer fahren als an die Küsten des Nordostatlantiks, wird auch der Schan – ein kleiner, hübscher Schleimfisch, der dort vorkommt – eher nicht erreichbar sein. Mit etwas gutem Willen passen aber auch die Schleimfisch-Arten des Mittelmeeres in dieses Kapitel. Sie ähneln sich natürlich, sind alle Blenniiden doch eng miteinander verwandt. Das gilt ebenfalls für die tropischen Vertreter dieser Sippschaft.
So springt die Autorin von Kontinent zu Kontinent und erklärt dies und das, was sie für junge Leser als wichtig oder interessant erachtet. Dazu gibt es wunderschöne, wenn auch kaum zur Identifizierung bestimmter Arten geeignete, farbige Grafiken, die sich durch sehr viel künstlerische Freiheit auszeichnen, denn der nicht vorgebildete Siebenjährige wird manche dieser Zeichnungen, so gekonnt sie auch ausgeführt sind, kaum einem bestimmten Tier zuordnen können.
Im Kapitel über Korallenriffe versucht Taylor, komplexere Dinge sehr vereinfacht zu erläutern, geht aber auch auf Details ein, mit denen der junge Leser schnell überfordert sein dürfte. Es genügt nicht, ein wichtiges Glied im Leben der Korallen als „Zooxanthelle“ zu bezeichnen, denn die biologischen Zusammenhänge sind nun einmal etwas komplexer und nicht in zwei Sätzen zu erklären. Selbst wenn es hier in erster Linie darum geht, den jugendlichen Leser neugierig zu machen – er wird nicht
in der Lage sein, das Erfahrene in ein Gesamtbild einzuordnen.
Man könnte noch weiter kritisieren, aber wozu? Das Buch ist von hoher Qualität, auf gutem Papier perfekt ­gedruckt. Es ist schön anzusehen, man blättert gern ­darin. Preiswert ist es obendrein. Die Zeichnerin verfügt über viel Fantasie und Geschick, wie es sich für einen Künstler gehört.
Doch obwohl an den Texten ja auch nichts grob falsch ist, frage ich mich, ob das Buch seine Leser wirklich finden wird. Die einen oder die anderen Eltern werden vielleicht danach greifen, weil es so schön gemacht ist. Und die jungen Leser werden bestimmt gern hineinschauen, aber eben nicht viel ­davon profitieren. Dazu sind die behandelten Themen auch etwas zu wahllos ­zusammengestellt, sodass sich kaum etwas ­davon in der Praxis, beim Schnorcheln im Urlaub etwa, nachvollziehen lässt.
Als Berufsbüchermacher reihe ich das Werk in die ­Kategorie „Coffee Table Books“ ein. Das sind Bücher, die man sich auf den Kaffeetisch legt und dann gelegentlich in die Hand nimmt.
Aber ob so etwas junge Leser anspricht?
Werner Baumeister