margin-right: 20px; margin-bottom: 10pxVon Sy Montgomery. 336 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen. mareverlag GmbH & Co. oHG, Hamburg, 2017. ISBN 978-3-8664826-5-4. 28 €

„Tintenfische haben die verwandelnde Zauberkraft der Literatur nicht nötig. Die ­Magie ihrer reinen Existenz – ihrer Seele – ist mehr als genug.“
Das schreibt die ­große Donna Leon im Nachwort zu Sy Montgomerys außer­gewöhnlichem Buch. Was aber ist dieses Buch? Eine Erzählung? Ein Porträt? Eine Dokumentation? Egal, ein großes Abenteuer allemal, denn Fakten werden hier zu Geheimnissen, Geheimnisse strahlen Zauberkraft aus, und Begegnungen zwischen Mensch und Tier erweisen sich als geradezu magisch.
„Der Oktopus ist ein Tier, das über Gift verfügt ... über einen Schnabel ... und über Tinte wie ein altmodischer Füllfederhalter.“ Er könne so viel wiegen wie ein Mensch, schreibt Sy Montgomery, schöpft auf über 300 Seiten aus schier unendlichem Oktopus-Wissen, und dennoch könne er seinen „schlabbe­rigen, knochenlosen Körper durch ein Loch mit dem Durchmesser einer Orange zwängen“.
Ein Gewicht von 15 Kilogramm hebe ein Pazifischer Riesenkrake, die größte aller Oktopus-Arten, mit einem einzigen Saugnapf hoch, und er besitze nicht weniger als 1.600 davon. Ehrfurcht und Respekt, Interesse und Neugier wachsen hier schnell von Seite zu Seite, die man zudem mit viel Vergnügen liest. Sy Montgomery wurde mehrfach für ihre Reportagen und Sachbücher ausgezeichnet. Man möchte fast sagen, voller Charme berichtet sie über ein Tier, das „dem Menschen nicht unähnlicher sein könnte“. Dennoch, schnell findet die Autorin Zugang zu den seltsamen Wesen, verliebt sich geradezu in sie. Aber: Wie schade, nicht ein ein­ziges Bild von den Begegnungen der Autorin mit ­jenen viel zu wenig beach­teten ­Tieren, keine einzige Fotografie von den Stationen, zu denen Montgomery den Leser mitnimmt! Sei es das New England Aquarium in Boston, ein Besuch an den Riffen von Französisch-Polynesien oder im Golf von ­Mexiko.
Kraken, sie spielen gern, erkennen Menschen wieder, sie zeigen Sympathie oder Abneigung, ihr Blut ist blau, das „Hirn ist um seinen Hals gewickelt, und statt mit Haaren ist er mit Schleim ­bedeckt“. Er wird nur weni­-ge Jahre alt, und er wächst nach dem Schlupf aus dem Ei schneller als jedes andere Tier auf dieser Welt.
Es ist die tolle Mischung aus Fakten und Atmosphäre, aus eigenen Beobachtungen und der Einbettung eines ­bemerkenswerten Tieres in Geschichte, Biologie und Forschung, die diese Lektüre so ansprechend macht.
Und die Frage, ob Kraken ein Bewusstsein haben, ob diese Tiere, die in Kunst und Mythologie als Ungeheuer dargestellt wurden, gar eine Seele besitzen – die mag sich der Leser selbst beantworten!

Barbara Wegmann