margin-right: 20px; margin-bottom: 10pxVon Ulrich Schliewen. 288 Seiten, 600 Farbfotos, Hardcover. Gräfe und Unzer, München, 2017. ISBN 978-3-833-80859-3. 24,99 €

Die komplette Aquaristik in einem Buch – geht das? Und ist das überhaupt noch zeitgemäß? Es gibt doch sämt­liche Informationen über Aquaristik im Internet, das Stichwort „Aquarium“ erzielt bei „Google“ 194 Millionen Treffer!
Dennoch hat sich schon die Vorgängerausgabe dieses Buchs sehr gut verkauft. Was steht also drin in diesem Universalwerk? Und was unterscheidet es von den Informationen im Internet?
Der Verfasser ist gelernter Biologe und seit seiner Kindheit begeisterter Aquarianer. Er schreibt seine Erfahrungen auf, kombiniert mit den neuesten Erkenntnissen. Informationen aus einer Hand, basierend auf langer Erfahrung, dafür gibt es offensichtlich einen Markt. Wer sich lieber bei Zankereien selbst ernannter Experten in Internetforen informiert, dem geht es ohnehin nicht um solides biolo­gisches Wissen.
Das bekommt der Leser in Schliewens Praxishandbuch sofort. Es beginnt mit dem Kapitel „Fischbiologie leicht gemacht“. Auf 25 Seiten führt es vom Körperbau über die Sinnesleistungen zum Fischverhalten und zu den natürlichen Lebensräumen der Aquarienbewohner.
Vorbildlich ist der Abschnitt zum Arten- und Naturschutz, denn er weist schon an prominenter Stelle auf die Verpflichtung der Aquarianer hin, eine möglichst naturverträgliche Vivaristik zu treiben.
Im folgenden Kapitel ­werden auf über 40 Seiten die Grundlagen der Aqua­rientechnik sowie der Wasserphysik und -chemie nachvollziehbar und in­struktiv beschrieben. Allerdings fällt hier ein gewisses Durcheinander auf. Alle wichtigen Stichworte sind genannt, für den Anfänger aber nicht in eine vernünftige Ordnung gebracht, nämlich unter der Leitfrage: Was ist wirklich wichtig und notwendig, um das erste Aquarium einzurichten und langfristig zu betreiben?
Es folgt der Abschnitt „Dekorieren, schön bepflanzen“. Hier finden sich ebenfalls viele Einzeltipps, und alle haben sie Hand und Fuß. Aber es fehlen konkrete Vorschläge zur sinnvollen Kombination von Materialien und Pflanzenarten. Die folgen dann in dem Kapitel „Einrichtung und Aquarienpflege“. Praxisnah werden darin die Einrichtung und der Betrieb eines mittelgroßen Aquariums vorgestellt.
Ab Seite 120 geht es um die Ernährung der Aquarienbewohner. Hier wird vernünftig zwischen Futter aus dem Zoofachhandel und aus „natürlichen“ Quellen unterschieden.
Das Kapitel über Krankheiten führt die hohe Qua­lität weiter und gibt einen schnellen Überblick zu den wichtigsten Krankheitsbildern.
Was sich anschließt, ist ein „Mischkapitel“. Zusammengefasst werden Hinweise zur Nachzucht von Fischen, zur Einrichtung von Nano-Aqua­rien und zum Betrieb von Meerwasserbecken.
Die Schilderung verschiedener Methoden zur Vermehrung von Süßwasserfischen zeugt von der großen Erfahrung des Verfassers. Für Anfänger sind einige Beispiele allerdings schon zu speziell. Sinnvoller wären Hinweise, welche Nachzuchtmöglichkeiten ein normales Wohnzimmeraquarium bietet.
Die Zeilen zu den „Nanos“, den Nano-Aquarien, wirken in diesem Buch auf mich wie ein Fremdkörper.
Dieses Gefühl verstärkt sich noch bei den wenigen Seiten zur Meerwasseraquaristik. Auf sechs Seiten lässt sich dieses Thema einfach nicht sinnvoll behandeln. Als ausgesprochen ärgerlich empfinde ich den Abschnitt: „Ein Aquarium für Nemo.“ Ein „Plug-and-Play-Aquarium“ zur erfolgreichen Haltung von Anemonenfischen (Amphiprion spp.) zu empfehlen verträgt sich nicht mit dem Anspruch der übrigen Kapitel.
Auf 90 Seiten folgen schließlich Porträts von 400 Arten, darunter auch solche, die ein Durchschnitts-Aquarianer nie halten wird: Rochen, Gabelbärte, Flösselhechte. Dafür gibt es dann nur knappe Informa­tionen zu aquaristisch interessan­teren Arten.
Insgesamt wäre im Artenteil weniger mehr gewesen. Dass Osteoglossum, der über einen Meter lang wird, Maulbrutpflege treibt, ist im ­Rahmen der bisherigen Beschreibungen des Buchs einfach irrelevant. Demgegenüber heißt es etwa beim Zebrabärbling (Danio rerio) lediglich: „Ein sehr lebhafter und schwimmfreudiger Bach­fisch.“ Hinweise zur Pflege dieser Anfängerart gibt es leider nicht.
Die letzten Seiten des Artenteils sind „Kugelfischen und anderen Sonderlingen“ gewidmet. Der Begriff „Sonderling“ sollte bei einer Überarbeitung ersetzt werden. Stachelaale mögen seltsam aussehen, aber ihre Bezeichnung als „Sonderlinge“ ist für eine ökologische Betrachtung nicht geeignet.
Es folgen noch einige Garnelen, weitere Krebse und Schnecken. Sie kommen mir etwas zu kurz, sind sie doch in den vergangenen Jahren verstärkt im Fachhandel zu finden.
Die beiden Amphibienarten auf den Seiten 250 und 251 hingegen wirken ­deplatziert, denn die in dem Buch beschriebenen Aquarien kommen für ihre Haltung nicht infrage.
Der Abschnitt zur Vergesellschaftung verschiedener Organismen in einem Aquarium fällt zu kurz aus. Hier wäre bei einer Neubearbeitung eine umfangreichere Darstellung sinnvoll.
Oft sind in manche ­Kapitel „Fragen“ als eigene Abschnitte eingefügt. Damit sollen praxisnahe Aspekte vermittelt werden. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut. Im Teil zur Vergesellschaftung wäre es besser ­gewesen, konkrete Vorschläge zu geben.
Der „Quickfinder Wissen“ (eine sprachliche Chimäre) schließlich ist ein Spezifikum der ­Bücher von Gräfe und Unzer.
In dem umfangreichen Glossar kann der Leser schnell nach bestimmten Fachbegriffen suchen.
Einige Adressen und Literaturhinweise runden das Werk ab. Ärgerlich sind das Fehlen der Erscheinungsjahre bei den Büchern und von Hinweisen auf die Betreiber verschiedener Internet-Quellen.
Trotz der vorgetragenen Kritik ist das „Praxishandbuch Aquarium“ insgesamt für jeden Einsteiger in die Aquaristik bestens geeignet. Es versammelt eine Unmenge von Informationen und bringt sie in sinnvolle Zusammenhänge. Damit ist das Werk stärker als die Gesamtheit aller Treffer bei Google.
Die angesprochenen Unklarheiten und Überfrachtungen lassen sich bei einer erneuten Überarbeitung sicher ganz einfach besei­tigen. Auch in Zeiten der ungefilterten Informations-Sintflut ist weniger oft mehr.


Hans-Peter Ziemek