margin-right: 20px; margin-bottom: 10pxEin Bestimmungsbuch
Von Heinz Streble, Dieter Krauter und Annegret Bäuerle. 400 Seiten, 1643 SW-Zeichnungen, 66 Farb- und zwei SW-Fotos, Hardcover. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart, 2017 (13. Auflage). ISBN 978-3-440-15694-0. 39,90 €

Im Jahr 1987 benutzte ich während meiner Diplom­arbeit die damalige Auflage des „Streble/Krauter“ zur Bestimmung von Planktonorganismen. Es war schon zu dieser Zeit das einzige deutschsprachige Bestimmungsbuch für Mikroor­ganismen der Stillgewässer mit umfassendem Anspruch.
Kürzlich legte der Kosmos-Verlag das Werk in der 13. Auflage vor. Mit Spannung griff ich daher zu dem neuen Buch – und hatte mein altes aus den 1980er-Jahren in der Hand!
Denn noch immer gibt es die grundsätzliche, alte Einteilung mit einem großen Bestimmungsteil, einem allgemeinen Text zur Einführung, einigen Farbtafeln und einem ausführlichen Register zum Abschluss. Sogar die Überschriften sind teilweise unverändert.
Geblieben sind auch die einfarbigen Zeichnungen der Organismen. Hier kann man geteilter Meinung sein. Zeigt die Zeichnung unvoreingenommen die wichtigsten Details und ist damit dem Foto von einem bestimmten Individuum überlegen? Oder ist es umgekehrt?
Aus meiner praktischen Erfahrung tendiere ich eindeutig zur guten Farbfotografie. Beispielhaft war hier der Kosmos-Algenführer aus dem Jahr 2004. Die wichtigsten Süßwasseralgen wurden komplett in Farb­bildern präsentiert, verpackt in ein sehr gutes Bestimmungskonzept. Leider schaffte es dieses Buch „nur“ in die zweite Auflage und verschwand dann wieder vom Markt. Es ist heute noch antiquarisch verfügbar und nach wie vor als ­Alternative zu empfehlen.
Gleiches gilt für die „Planktonkunde“ von Sand­hall & Berggren aus dem Jahr 1985. Ebenfalls bei Kosmos verlegt, ist es für mich immer noch ein Werk, das ich mit Gewinn bei meiner Arbeit einsetze. Auch hier gibt es das Erfolgsrezept: Farbfotos, kombiniert mit einer sinnvollen Auswahl von Organismen.
Der Text in der „Wasser­tropfen“-Neuauflage wurde teilweise deutlich überarbeitet und erweitert, doch leider in einer so ­komplizierten Fachsprache, dass der öfter erwähnte „Anfänger“ kaum eine Chance haben wird, das Dargestellte zu verstehen. Für den erfahrenen „Mikro­sko­piker“ (im Vorwort taucht diese Bezeichnung häufiger auf) sind die Beiträge vielleicht sinnvoll nutzbar. Leider fehlen jedoch Quellen­angaben, sodass der wissenschaftliche Wert nicht zu ­beurteilen ist.
Ärgerlich wird es, wenn veraltete Erkenntnisse in neuem Gewand daherkommen. Den Begriff „Blaualgen“ gibt es in der aktuellen Biologie nicht mehr. Die ­Cyanobakterien gehören zu den Bakterien und sind damit deutlich von den Algen zu trennen, was in der Neuauflage aber nicht beachtet wird. Das ist der Nachteil, wenn ein eingespieltes Herausgeber- und Autorenteam den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.
Für Schulen ist der Nutzen des Buchs leider nur gering. So wird noch der Heuaufguss propagiert, während in der Schulpraxis die Bedenken wegen potenziell gefährlicher Mikroorganismen solche Ansätze verbieten. Zum Einsatz von Kulturansätzen und Filmen über Mi­kroorganismen heißt es auf Seite 26: „Wegen Anschauungsmaterial für den Unterricht wendet man sich über Medienzentren an die Anstalten.“ Welche junge Lehrerin, welcher junge Lehrer soll damit etwas anfangen können?
Überhaupt die komplizierte Sprache, beispielsweise im Abschnitt über die biologische Gewässeranalyse (ab Seite 356): „Leitformen der Stufen für Biologische Gewässeranalyse ab Seite 365 sind hier der Datensatz für Indizes ohne Abundanzziffern und Indikationsgewichte auf der Basis Leitformen +, nicht mehr einstufbare, aber zu berücksichtigende Arten () und Formen ohne Anzeigewert – Vergleichsrechnungen ergeben sehr ähnliche Werte unabhängig davon, ob von den zu beurteilenden SI-Werte nach DIN oder S-Werte nach Pantle und Buck (16) wie in ‚Das Leben im Wassertropfen‘ errechnet werden.“ Noch Fragen?
Für mich bleibt die Frage: Wer ist die Zielgruppe dieses Buchs? Gibt es die „Mikro­skopiker“ überhaupt noch, die neue und seltene Formen von Mikroorganismen aus naturkundlichem Interesse sammeln? Ich glaube nicht. Wir haben zwar immer noch eine kleine Chance, junge Menschen für das Leben im Wasser makro- und mikroskopisch zu begeistern, doch wird diese Auflage des ­„Lebens im Wassertropfen“ dazu keinen Beitrag leisten. Und wenn dann noch auf Seite 364 ein „stabiles Boot mit Anker“ als Ausrüstungsgegenstand empfohlen wird, dann wird der Wunsch nach einer grundlegenden Neubearbeitung sehr groß.
Es lohnt sich nicht, den neuen „Streble/Krauter“ zu kaufen, wenn man schon eine frühere Auflage in seinem Regal stehen hat. Und für Neueinsteiger ist die „Modellpflege“ des Bestimmungsklassikers derart unglücklich ausgefallen, dass man das Buch etwa für Jugendliche und interessierte Leser ohne Vorkenntnisse – leider! – nicht empfehlen kann.
Soll das so wichtige Werk eine Zukunft haben, müsste für die 14. Auflage das gesamte Konzept über den Haufen geworfen werden. Sonst wird „Das Leben im Wassertropfen“ endgültig zum Anachronismus – und zwar nicht nur für den Verlag, sondern vielleicht auch als Thema im Schulunterricht und als spannende ­naturkundliche Freizeitbeschäftigung.
Hans-Peter Ziemek