Von Hansruedi Wildermuth & Andreas Martens. 960 Seiten, 927 Farbfotos, 179 Tabellen, 141 farbige Verbreitungskarten, gebunden. Quelle & Meyer, Wiebelsheim, 2018. ISBN 978-3-494-01690-0. 39,95 €
In DATZ 11/2015 erschien eine Besprechung des „Taschenlexikons der Libellen Europas“ (2014). Es stammt aus demselben Verlag und von denselben Autoren, und es ist der Vorgänger des hier vorgestellten Werks, zu dem die Verfasser ausdrücklich feststellen, dass es sich nicht um einen Feldführer handelt. So wird die Verbreitung der 140 behandelten Arten auch nur grob umrissen, und im Vordergrund stehen „die ökologischen, verhaltens- und naturschutzbiologischen Aspekte“ der in Europa nachgewiesenen Libellen.
Das schlägt sich auch in der Bildauswahl nieder. Wildermuth & Martens ist daran gelegen, möglichst viele Dokumente zu präsentieren, „die neben dem Habitus der Arten auch Elemente ihrer Lebensweise zeigen“.
So finden sich in dem Buch zahlreiche fantastische Fotografien, die beispielsweise die verschiedenen Varianten der Eiablage, den Schlupf von (Pro-)Larven und von Imagines, Groß- und Kleinlibellen als Beutegreifer wie als Beute, fliegende (sogar in großen Schwärmen) und sich paarende Libellen festhalten, aber auch brillante Aufnahmen, die Details wie Exuvien, Fangmasken oder Porträts (so etwa auf Seite 336 die 20 Kopfstudien von der Blaugrünen Mosaikjungfer [Aeshna cyanea], die die individuellen Unterschiede der einzelnen Tiere eindrucksvoll darstellen) und Vieles mehr aus dem so spannenden Leben dieser Insekten einfangen.
Nach Titelei, Vorwort und dem sechsseitigen Inhaltsverzeichnis befasst sich das erste Kapitel mit der Biologie der Libellen und geht auf 29 Seiten kurz – unterstützt von Grafiken und Erklärungen der morphologischen Fachbegriffe – auf Körperbau, Phylogenie und Systematik, ökologische Ansprüche, Gefährdung und Schutz der Odonata ein. Ratschläge zum Bestimmen und Beobachten von Imagines und Larven sowie Tipps zum Fotografieren und Filmen der Tiere runden das Kapitel ab.
Wie üblich beginnt der Artenteil mit den Kleinlibellen (Zygoptera). Auf 269 Seiten sind die fünf in Europa vertretenen Familien mit ihren 13 Genera nach systematischen Gesichtspunkten aufgeführt, die genau 50 „Damselfly“-Arten innerhalb ihrer Gattungen dann alphabetisch abgehandelt.
Demselben Schema folgen die Darstellungen der Großlibellen (Anisoptera). 514 Seiten sind den fünf Familien mit ihren 29 Gattungen und 92 Arten von „Dragonflies“ gewidmet.
Zu jeder Spezies sind der wissenschaftliche Artname (mit Autor und Erscheinungsjahr der Erstbeschreibung), die deutsche und die englische Bezeichnung genannt. Habitus- und Detailfotos (zu Geschlechtsunterschieden, Lebensräumen, Laichgewässern oder arttypischen Besonderheiten), Tabellen zum Gefährdungsstatus, Phänogramme (Daten zu den Aktivitätsphasen), Infokästen mit Beobachtungstipps, Verbreitungskarten (die es im Vorläuferwerk noch nicht gab) und knappe Literaturhinweise ergänzen die Texte.
Die variierenden Umfänge der Artabschnitte spiegeln den unterschiedlichen Wissensstand zu einzelnen Spezies wider, wobei die Autoren Wert auf den Hinweis legen, dass in „verschiedenen Artkapiteln … eigene, bisher unveröffentlichte Beobachtungen, Befunde und Erfahrungen eingeflossen“ sind.
Vor allem für die Aquarianer unter den Libellenfreunden (oder umgekehrt) dürfte das Kapitel „Exotische Libellen in Europa“ besonders interessant sein. Auf 32 Seiten stellen die Autoren eine Reihe von Neozoen vor – sechs Klein- und zwölf Großlibellenarten –, die meist mit Wasserpflanzen-Importen aus (sub)tropischen Ländern nach Europa verschleppt wurden. Wer die DATZ aufmerksam liest, weiß, dass es in der jüngeren Vergangenheit weitere solcher – in der Regel unbeabsichtigten – Einfuhren gab (siehe DATZ 6/2015, 7 und 8/2016).
Nicht minder spannend ist das letzte Kapitel, in dem die Autoren auf 26 Seiten „Epizoen, Parasiten und Parasitoide“ beschreiben, die an Libellen – Larven und/oder Imagines – auftreten: Muschelkrebse, Süßwasserpolypen, Skorpionsfliegen, verschiedene Vertreter von Milben, Gnitzen, Fliegen und Zwerg- oder Eierschlupfwespen, aber auch Muscheln (Dreissena spp.) und Glockentierchen.
Das umfangreiche Literaturverzeichnis ist in zwei Teile gegliedert: Auf vier Seiten sind „Allgemeine Grundlagen- und Übersichtswerke, Bestimmungsbücher, Landesfaunen, Rote Listen etc.“ zusammengestellt, und die folgenden 56 Seiten führen libellenkundliche Fachartikel auf.
Den Schluss bilden zwei Seiten mit einer erläuternden „Liste der verwendeten Fachbegriffe“, 13 Seiten mit den Registern der wissenschaftlichen, englischen und deutschen Libellennamen sowie eine Seite mit Adressen odonatologischer Vereinigungen und kurzen Steckbriefen der beiden Verfasser.
Fast 1.000 Seiten konzentriertes, dabei übersichtlich dargestelltes Wissen, illustriert mit exzellenten Zeichnungen und Fotografien zu einem ausgesprochen fairen Preis! Allen, die sich für Libellen interessieren, kann man dieses Werk einfach nur empfehlen.
Rainer Stawikowski