margin-right: 20px; margin-bottom: 10pxVon Mareike Vennen. 424 Seiten, 72 zum Teil farbige Abbildungen, gebunden mit Schutzumschlag. Wallstein Verlag, Göttingen, 2018. ISBN 978-3-8353-3252-2. 37 €

Eine Kulturwissenschaftlerin legt allen ambitionierten Aquarianern eine wunderbare Beschreibung der ersten 100 Jahre der Aquaristik vor. Sie behandelt den Zeitraum vom Beginn der Meeresaquaristik in England und führt den Bogen über Europa bis nach Nordamerika. Die Beschreibung endet in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg.
Ihre These zu Beginn des Buchs lautet: „Aquarien stellen … einen entscheidenden, bislang wenig beachteten Schauplatz in der Frühgeschichte ökologischen Denkens dar.“ Ein ­interessanter Ansatz, den Vivarianer ebenfalls immer wieder vertreten, wenn es um die Zukunft ­ihres Tuns geht. Also haben wir mit diesem Werk einen Blick in die Geschichte vor uns, aus dem wir für die ­weitere Entwicklung der Aquaristik lernen können.
Bevor man die Anschaffung des Buchs erwägt, muss man sich aber darüber klar sein, dass eine Geisteswissenschaftlerin die Thematik erarbeitet. Es gibt jede Menge Fußnoten, die oft den meisten Platz auf einer Seite einnehmen, das ist ungewöhnlich für naturwissenschaftlich orientierte Leserinnen und Leser.
Dazu kommt ein sozialwissenschaftliches Vokabular, das manchmal gewöhnungsbedürftig ist. „Mikrohistorische Fallstudien“ und die „strukturelle Unabschließbarkeit des Aquariums“ sind erst einmal gedanklich zu verarbeiten. Und wenn das Buch dann noch zwischen „unterschiedlichen Skalierungsebenen oszilliert“, sollte das nicht zum Zuklappen und Zurückstellen in ein Bücherregal führen.
Blättern Sie weiter, und es eröffnen sich neue Horizonte! In Kapitel 1 beginnt es mit der Einrichtung kleiner, abgeschlossener Welten. Die Geschichte von Nathaniel Ward ist eine dieser Fallstudien. Er versuchte, Gläser so zu bepflanzen, dass sie über möglichst lange Zeiträume ohne äußere Einflüsse funktionieren.
Jedes Kapitel trägt eine schöne Überschrift, das zweite heißt „Stabilisieren I“. Die kryptische Bezeichnung wird schnell erklärt. Es geht um den Londoner Chemiker Robert ­Warington, der die ersten „ökologisch stabilen“ Aquarien erprobte.
Kapitel 3 erzählt die Geschichte des Naturforschers Philip Henry Gosse, dem ­Erfinder des Meerwasser-Aquariums.
Besonders ästhetisch geht es in dem Kapitel über „Naturkundliche Bildumwelten“ zu. Die Erstellung von Lithografien wurde zum Meisterstück der Vermittlung der neuen Unterwasserwelten an ein breites Publikum. Auch hier war Gosse der Initiator. Einige sehr gut reproduzierte Abbildungen illustrieren dieses Kapitel eindrücklich, für mich besonders schön die „Sammelkarte mit Erdbeerrose“ von der Firma „Liebig Fleischextrakt“ (Tafel 16).
Für einen langjährigen Mitarbeiter an der Entwicklung der DATZ besonders wichtig ist das Kapitel „Rahmen I“. Hier geht es nicht um die ersten Gestellaqua­rien. Vielmehr wird die Geschichte der ersten Ratgeber und Artikel rund um das Hobby Aqua­ristik nachvollzogen. Ob dereinst im Jahre 2150 ein elek­tronisches Essay mit 3D-Denkfiguren die Bedeutung der DATZ ähnlich würdigen wird …?
Weiter geht es in „Sta­bi­lisieren II“ mit der fortschreitenden Entwicklung der Aquarientypen und -technik. Der „Durchlüftungsapparat“ auf Seite 223 zeigt dabei den Umfang der Bemühungen, die schon ­damals Vivarianer auf sich nahmen, um ihre Becken möglichst lange und zuverlässig zu betreiben.
Global wird es im folgenden Abschnitt. Wie ein Krimi lesen sich die Schil­derungen, wie die ersehnten Organismen aus ihren angestammten Lebensräumen nach Europa und Nordamerika gebracht wurden.
Ungewöhnlich ist die ­intensive Betrachtung der Glasproblematik. Geradezu als „Glaskultur“ beschrieben, werden die Schwierigkeiten bei der Herstellung hochwertigen Glases erläutert. Aber auch die Bedeutung dieses Materials für die Betrachtung von Wassertieren wird diskutiert.
Es folgt ein Einblick in die frühe Aquarienfotografie, eine Fundgrube für jeden historisch interessierten Fotografen.
Ebenfalls mit viel Erkenntnisgewinn sind die Absätze zur Entwicklung der Schau­aquarien und zu der Bedeutung von Aquarien für die ökologische Forschung verbunden.
Das letzte Kapitel erzählt die höchst interessante Geschichte des Zoologen Karl August ­Möbius, der in der Aus­ein­andersetzung mit dem „Schlamm“ des Ostsee­grunds die Zusammenhänge in ma­rinen Lebensgemeinschaften durchschaut. Erkenntnisse, die ihn später, im Rahmen einer Auftragsstudie von Nordsee-Fischern zum Erhalt der Europäischen Auster (Ostrea edulis), zur Beschreibung des Begriffs „Biozönose“ führt.
Möbius ist übrigens auch der akademische Lehrer von Friedrich Junge, ­einem Dorfschullehrer in Schleswig-Holstein, der mit seinem 1885 vorgelegten Buch „Der Dorfteich als ­Lebens­gemeinschaft“ bis heute die Behandlung des Themas „Stillgewässer“ in Schulen beeinflusst, zumindest in Waldorf-Schulen.
Das Werk endet mit einer Zusammenfassung der umfangreichen Reise durch die Gedanken- und Ideenwelt der frühen Aquarianer – und selbstverständlich mit einem umfangreichen Schriftenverzeichnis.
Insgesamt ist „Das Aqua­rium“ ein höchst lesenswertes Buch. Ich empfehle es jedem, der die Haltung von Tieren im Aquarium verbieten will.
Und ich lege es allen Menschen ans Herz, die sich seit ihrem elften Lebensjahr mit Aquarien auseinandersetzen und mit wunderbaren Momenten belohnt wurden.
So ergeht es mir seit 47 Jahren, und es wird nicht freiwillig enden. Das erzählt mir das vorliegende Buch ebenfalls.
Hans-Peter Ziemek