margin-right: 20px; margin-bottom: 10pxVon Richard Dawkins. Aus dem Amerikanischen („Science in the Soul“) übersetzt von Sebastian Vogel. 528 Seiten, gebunden. Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin, 2018. ISBN 978-3-843-71838-7. 24,99 €

Im vergangenen Herbst erschien eine Sammlung von 41 wissenschaftlichen Beiträgen verschiedenster Art – Essays, Vorträge, Briefe … – eines der führenden In­tellektuellen unserer Zeit.Der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins ist ­naturwissenschaftlich in­teressierten Menschen wie den Lesern der DATZ vermutlich bekannt, sein Beitrag zum modernen Verständnis der Darwinschen Evolutionstheorie war gewaltig, sein Modell einer natürlichen Selektion auf der Ebene der Gene revolutionär.
Nebenbei führte er im selben Buch („Das egoistische Gen“) den Begriff „Mem“ als kulturelles Äquivalent zum biologischen Gen ein. Und nun wuseln „Memes“ durch alle sozialen ­Internetportale und Messenger: Bilder mit einem kurzen Text, die sich rasch verbreiten. Das ist zwar nicht genau das, was Dawkins gemeint hatte, aber ganz unpassend ist die Bezeichnung nicht.
Allerdings, und das veranschaulicht das vorliegende Buch hervorragend, gehen Dawkins’ Interessen weit über die Evolutions­biologie hinaus. Im Grunde ist es, wie sein restliches Schaffen auch, ein einziges großes Plädoyer für die Vernunft. Ausgehend von einer einzigen Prämisse – dass vernünftiges, (natur)wissenschaft­liches Denken der beste und einzig sinnvolle Weg zu Erkenntnis und berechtigten Überzeugungen ist –, widmet er sich einer Vielzahl verschiedenster Themen und kann, dank seiner Begeisterung für den Skeptizismus, zu allen etwas Gehaltvolles sagen.
Man muss nicht immer einverstanden sein, aber jede Schlussfolgerung ist in sich logisch schlüssig und so voller Elan formuliert, dass es ein Vergnügen ist, sie nachzuvollziehen.
Hilfreich bei der Lektüre ist es allerdings, wenn der Leser besagter Prämisse ­zustimmt, also verstanden hat, dass Wahrheit einen Wert an sich besitzt. Mit ­der Einführung in diese Perspektive beginnt das Buch.
Unter der Überschrift „Wert(e) der Wissenschaft“ erklärt Dawkins, warum ­Naturwissenschaft unabhängig von irgendwelchen Glaubenssystemen, also unverfälscht, betrieben werden muss und warum jeder se­riöse Wissenschaftler in der ständigen Demut und Gewissheit arbeiten muss, seine komplette Arbeit samt ­allen Theorien und Überzeugungen, die er bisher vertrat, radikal über den Haufen werfen zu müssen, sobald es gute Gründe dafür gibt.
Und so sehr Dawkins gute Gründe liebt, verabscheut er schlechte, beispielsweise die Behauptungen irgendwelcher wissenschaftsfeindlichen Scharlatane. In Deutschland spitzt sich die Debatte um Sinn und Unsinn von Homöopathie zurzeit etwas zu, und das ist gut so, weil der Unfug dieser Pseudomedizin ja ziemlich offensichtlich ist und sowohl rational als auch empirisch oft genug als solcher enttarnt wurde. Eine erfreuliche Entwicklung also, aber noch schöner wäre es, ginge Dawkins’ Wunsch in Erfüllung: „Meine Werte mögen verschroben sein, aber ich würde es begrüßen, wenn die Natur vor ­Gericht ebenso vertreten würde wie ein misshandeltes Kind.“
Wie vehement er für seine Werte eintritt, verdeutlicht ein weiterer Beitrag im ersten Teil ein offener Brief an Prinz Charles, der bei einer Vorlesung die wagemutige Gewichtung von Intui­tion über wissenschaftliche Erkenntnisse postuliert hatte. Dawkins weist ihn in einer Mischung aus elegantem Respekt („Königliche Hoheit, Ihre Reith-Vorlesung hat mich betrübt.“) und recht deutlichen Worten („Natürlich sollen wir einen offenen Geist haben, aber er soll nicht so offen sein, dass das Gehirn heraustropft.“) darauf hin, dass Intuition ­niemals so verlässliche Ergebnisse liefern könne wie die Wissenschaft und außerdem per definitionem subjektiv ist: „Aber wie steht es mit der instinktiven Weisheit im schwarzen Herzen von Saddam Hussein? Was zeich­nete den wagnerianischen Wind aus, der durch Hitlers verbogene Zweige wehte?“
Gerade bei wichtigen Entscheidungen, etwa politischen oder ökologischen, komme es darauf an, „lieber nicht [zu] fühlen, sondern [zu] denken. Und denken heißt hier wissenschaftlich denken. Eine leistungsfähigere Methode gibt es nicht. Gäbe es sie, die Wissenschaft würde sie übernehmen.“
Dieser Brief, gerade wenn man oben genannte Prämisse teilt, ist einer von vielen Beweisen in dem Buch da­-für, dass wissenschaftliches Denken kein bisschen trocken sein muss. Dawkins’ Enthusiasmus ist so ansteckend und begeisternd, klug, britisch und ­zuweilen lustig, dass man sich wünscht, John Cleese würde eine Hörbuchversion aufnehmen.
Die weiteren Kapitel decken so unterschiedliche Themen ab wie Feuerwerksverbote, das US-amerika­nische Justizsystem, den Umgang mit Tieren, natürlich Evolutionsbiologie, persönliche Erinnerungen an Freunde und Familienmitglieder und – das darf bei Dawkins nicht fehlen, ist es doch neben der Biologie das zweite große Gebiet, in dem er Bestseller veröffentlichte – Religionskritik.
Seine Einstellung zu irra­tionalen Glaubenssystemen, egal wie kulturell anerkannt sie sind, wird bereits in der Überschrift deutlich: „Denkverbote, dummes Zeug und Durch­ein­ander“. Auch hier findet sich ein offener Brief an ­einen hochkarätigen Politiker, es gibt aber auch kluge philosophische und sozio­logische Überlegungen zur Religion.
Höhepunkt von und ­Beweis für Dawkins’ Schlagfertigkeit ist allerdings die Mitschrift eines Vortrags in Alabama. In den USA gelingt leider immer noch sehr vielen Menschen das kognitive Kunststück, im 21. Jahrhundert an die Schöpfungsgeschichte zu glauben.
Mitte der 1990er-Jahre sollte Dawkins in diesem Staat einen Vortrag halten, bekam aber unmittelbar vor Beginn einen ­Zettel, der damals auf Anweisung des Bundesstaates in alle an staat­lichen Schulen verwendeten Schulbücher gelegt werden musste. Ziel dieses Einlegeblatts war es, den Kreatio­nismus im Biologieunterricht zu vermitteln und gleichzeitig die Evolu­tionstheorie zu diskreditieren. Spontan entschied sich Dawkins dazu, seinen vorbereiteten Vortrag nicht zu halten, sondern stattdessen die Behauptungen des Zettels der Reihe nach zu kritisieren, als sei er ein Anwalt und verteidige
vor Gericht die Natur.
Das Buch versteht sich aber nicht, das darf nicht falsch gesehen werden, als „Best of“, sondern als Sammlung rückblickender Ergänzungen. Dennoch ist es sowohl für Dawkins-Neu­linge als auch Kenner sehr empfehlenswert.
Die einen erhalten einen umfassenden Einblick in sein facettenreiches Denken und können dann, bei Bedarf, tiefer in die Materie eintauchen und je nach Interessens­-gebiet seine Monografien zu Evolutionsbio­logie, Naturwissenschaft im Allgemeinen oder Religionskritik lesen.
Den anderen werden zwar einige der formulierten Gedanken bekannt vorkommen, der Großteil beleuchtet aber weitere Aspekte oder ganz neue Themen, die in den bisherigen Büchern nicht behandelt wurden.
Eine Kaufempfehlung ist also ganz natürlich, in sich logisch schlüssig und hätte vor Gericht selbst beim un­erbittlichsten Richter Bestand.

Arne Stawikowski