margin-right: 20px; margin-bottom: 10pxMichael Kempkes. NBB-Band 683. 225 Seiten, 82 größtenteils farbige Abbildungen, 29 Tabellen, Paperback, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, Verlags KG Wolf, Magdeburg 2020. ISSN: 0138-1423, ISBN: 978-3-89432-251-9. 29,95 Euro.

Sechs Jahre nach Erscheinen der Erstauflage dieser inhaltsreichen Monographie über den Zwergkärpfling haben sich Verlag und Autor für eine zweite Auflage entschieden. Sie ist hinsichtlich der Anzahl der Druckseiten, Abbildungen und berücksichtigten Literaturquellen um einiges umfangreicher geworden als ihre Vorgängerin. Wobei der Autor nicht nur die neueste Literatur zum Thema berücksichtigt hat, sondern auch einige alte Schriften, die ihm bisher verborgen waren.
Es gibt gute Gründe dafür, dass der Verlag eine zweite Auflage dieses Buchs herausgebracht hat: Da ist zunächst der Verfasser selbst, der sich in den letzten Jahrzehnten einen guten Ruf als sachkundiger Fachautor auf verschiedenen Gebieten erworben hat, insbesondere auf dem der Lebendgebärenden Zahnkarpfen (Poe­ciliidae). Und der sich bei aller erfreulichen Allgemeinverständlichkeit seiner Darstellungen immer auch einem hohen wissenschaftlichen Anspruch verpflichtet fühlt. Er ist ein Garant für verlässliche Informationen.
Als Nächstes ist da die traditionsreiche Neue Brehm-Bücherei, deren Anfänge bis in die späten 1940er-Jahre zurückreichen, mit damals schmalrückigen Heftchen, deren Texte teilweise noch aus der Zeit vor dem II. Weltkrieg stammten. Als Mittlerin zwischen den Naturwissenschaften und dem breiten Publikum hat diese populäre Schriftenreihe im Lauf der Jahrzehnte eine immense Qualitätssteigerung erfahren, die den Fortschritten in den einzelnen Fachdisziplinen entspricht, die in ihr zu Wort kommen. Von diesem hohen Niveau zeugt nicht zuletzt die zweite Auflage des NBB-Bandes 683, die dieser Rezension zugrunde liegt.
Für solche umfangreichen Monographien ist das gedruckte Buch nach wie vor das adäquate Medium; es lässt sich so leicht nicht durch andere ersetzen, sofern es, wie jetzt geschehen, gelegentlich durch neue Auflagen aktualisiert wird.
Und schließlich ist es der Zwergkärpfling durchaus wert, dass man seine Besonderheiten ausführlich würdigt. Die Fülle dessen, was über die inzwischen gut erforschte Art bekannt ist, hat der Verfasser in der neuen Auflage von NBB 683 in gleicher Reihenfolge abgehandelt wie bereits in der ersten: 1. Systematische Stellung im Tierreich, 2. Stammesgeschichte der Zwergkärpflinge, 3. Morphologie, 4. Verbreitung und Ökologie, 5. Verhalten, 6. Fortpflanzung und Ontogenese sowie 7. Zwergkärpf­linge im Aquarium. Als Punkte 8. bis 11. folgen ein Glossar wichtiger biologischer Fachtermini, das umfangreiche Literaturverzeichnis mit 227 Titeln, ein detailliertes Register sowie nützliche Hinweise auf Vereine, die sich mit Lebendgebärenden Zahnkarpfen beschäftigen, inklusive Internetadressen. Dem 3. Kapitel ist ein neues Unterkapitel 3.3.4 über das erst im Jahr 2019 entschlüsselte Genom von Heterandria formosa hinzugefügt, das artspezifische Gene enthält, die bei der Evolution der hoch entwickelten Plazenta dieser Art eine Rolle gespielt haben.
Neben dem Text verdeutlichen zahlreiche Fotos und Tabellen das Anliegen des Buches, wobei die einfühlsamen Nahaufnahmen von Elke Weiand besonders hervorgehoben werden sollten. Angenehm aufgefallen sind die knappen, aber treffenden Aussagen großer Denker und Forscher (wie Aristoteles, Goethe, Darwin oder Dobzhansky), die der Verfasser den Hauptkapiteln vorangestellt hat.
Besonders interessant fand ich u. a. die sich über mehrere Kapitel verteilenden Aussagen zur Stammesgeschichte der Zwergkärpflinge, ihrer Zoogeographie und Ökologie im weitesten Sinne. Beginnend mit der Genese der Poeciliinae in Abhängigkeit von den geomorphologischen Prozessen seit dem Erdaltertum (Stichwort: Schicksal des Gondwana-Kontinents) bis hin zu den rezenten Verbreitungsräumen von Heterandria formosa im südlichen Nordamerika. Ferner die nacherlebbaren Erkundungen des Verfassers selbst in den Lebensräumen der Zwergkärpflinge. Die Wechselbeziehungen zwischen ihnen und ihrer Umwelt, wie ihre Einnischung in spezielle Habitate mit Bevorzugung pflanzenreicher, strömungsarmer Klein­gewässer im Unterschied zu den eher suboptimalen Existenz­be­ding­ungen entlang der Uferzonen größerer Fließgewässer. In Abhängigkeit von ihrer geringen Körpergröße die Frage nach der Vielzahl von Prädatoren und anderen Selektionsfaktoren. In dem Zusammenhang ihre Strategien zur Fressfeindvermeidung sowie ihre interspezifische Konkurrenz zu anderen kleineren Zahnkarpfen, wie Gam­busia holbrooki, als Mitbewerber um Nahrung und Lebensraum. Um aus der Vielzahl der angesprochenen Aspekte wenigstens einige zu erwähnen.
Sehr eingehend wird vom Autor natürlich die besondere Fortpflanzungsweise der Zwerg­kärpflinge erläutert. Sie weicht von der vieler anderer Lebendgebärender Zahn­kar­pfen insofern ab, als es sich bei Heterandria formosa um eine Art mit matrotropher Viviparie handelt, bei der die Embryonen über eine Plazenta und damit über den mütterlichen Organismus ernährt werden. Das stellt eine höhere Form des Lebendgebärens dar als die alternative und häufigere Fortpflanzungsweise per lecidotropher Viviparie. In letzteren Falle wird der Em­bryo über den Dotter in seinem Ei ernährt. Während sich diese endogenen Verhältnisse nur dem embryologisch forschenden Biologen erschließen und günstigstenfalls, wie hier geschehen, von einem versierten Fachmann allgemeinverständlich interpretiert werden, ist die ebenfalls bei Heterandria formosa auftretende Superfötation ein Phänomen, über dessen extern sichtbare Resultate auch interessierte Aquarianer mehrfach berichtet haben. Dabei werden Eier aus unterschiedlichen Entwicklungszyklen simultan befruchtet, so dass es zu „Parallelträchtigkeiten“ mit verschiedenartigen Embryonalstadien und mehreren aufeinander folgenden Geburten von einzelnen oder wenigen Jungtieren in kürzeren oder auch längeren Intervallen kommt.
Wie Michael Kempkes erwähnt, ist der Zwergkärpfling als Aquarienfisch schon seit 1912 bekannt, hat aber niemals eine bedeutende Rolle in der Aquaristik gespielt. Erst durch die interessanten Ergebnisse der Freiland- und Verhaltensforschung sowie der fortpflanzungsbiologischen Untersuchungen können Aqua­rien­­freunde seine Besonderheiten so richtig würdigen – insbesondere jene, die sich in speziellen Arbeitskreisen oder Gesellschaften für die Pflege und Zucht Lebendgebärender Zahn­karpfen zusammengeschlossen haben.
Aber auch andere Vivarianer sind in der Lage, die durchaus erfüllbaren Ansprüche des Zwergkärpflings an die Unterbringung in einem geeigneten Aquarium zu befriedigen, das jedoch – wie der Verfasser ausdrücklich betont – keines der modernen, winzigen Nano-Aquarien sein darf. Informationen über Haltung und Pflege und darüber hinaus über alles andere, was bisher über wildbebende und in menschlicher Obhut gepflegte Zwergkärpflinge von wissenschaftlicher Seite und aus Liebhaberkreisen bekannt geworden ist, findet man in dem vorgestellten Buch, das ich hiermit interessierten Lesern nachdrücklich empfehle.  
Hans-Joachim Paepke