margin-right: 20px; margin-bottom: 10pxGehring, Philip-Sebastian (2020): Plattschwanzgeckos – Die Gattung Uroplatus. – Edition Chimaira, Frankfurt am Main, 383 S., Hardcover; ISBN 978-3-89973-348-8; 49,80 €

Sehnsüchtig wurde es erwartet, jetzt ist es da – in der Edition Chimaira ist die Monographie über Madagaskars Plattschwanzgeckos erschienen. Das Buch ist sowohl in einer deutsch- als auch in einer englischsprachigen Ausgabe verfügbar, was dem Interessentenkreis ganz sicher gerecht wird. Und umfangreich ist es geworden. Dies spiegelt den Erfahrungsschatz des Autors aus wissenschaftlicher und terraristischer Sicht wider, ist aber auch Zeugnis dafür, wie groß der akademische Wissenszuwachs über die Gattung während der letzten Jahre war. Besonders in taxonomischer Hinsicht: Denn im vergangenen Jahrzehnt wurden gleich sechs kleiner bleibende Arten neu aufgestellt, dies entspricht knapp 50 % der davor beschriebenen Artenzahl – die erste Spezies wurde wohlgemerkt bereits 1797 beschrieben.
Die Gattung fasziniert mit ihrer Gestalt und dem Tarnmuster, der langsam schleichenden Fortbewegung und den großen, oft auffällig gefärbten Augen gleichermaßen. Auch mich hat sie bereits zu Schulzeiten in ihren Bann gezogen. Meine erste Reise nach Madagaskar war vor allem dem Wunsch geschuldet, die possierlichen Gespenst-Plattschwanzgeckos (Uro­pla­tus phantasticus), die ich damals schon einige Zeit hielt und vermehrte, in ihrem Lebensraum sehen zu können. Als völlig ahnungs- und argloser Rucksack-Tourist ging es dann erstmals auf den Inselstaat, in politisch mal wieder etwas unruhigen Zeiten … Uroplatus gehörten auch später immer zu den Highlights nächtlicher Exkursionen; in besonderer Erinnerung sind mir besonders die Vielfalt der Gattung im Marojejy-Nationalpark (gleich vier Arten in unmittelbarer Nähe zueinander, von finger- bis unterarmlang) und die Populationsdichte auf der kleinen Insel Noy Mangabe (zwar nur eine Art, aber dafür gefühlt auf jedem zweiten Stamm lauernd).
Philip-Sebastian Gehring hat nun seine Erfahrung in der Pflege und Vermehrung sowie seine eigenen Freilandbeobachtungen und aktuelle Erkenntnisse aus verschiedenen Fachdisziplinen in einem Buch untergebracht, das sich bei aller Fülle an Informationen sehr gut und verständlich liest. Das geballte Wissen ist gegliedert in einen allgemeinen Teil, einen über Haltung und Nachzucht sowie einen dritten, speziellen Teil, der sich nicht nur aus jeweils ausführlichen Artenporträts aller beschriebenen und als gültig anerkannten Arten zusammensetzt, sondern in dem auch sogenannte Kandidatenarten vorgestellt werden, also noch formal unbeschriebene Formen.
Schon der erste Abschnitt ist äußerst informativ, denn wo in manch anderem Werk nur kurz die obligatorischen Fakten heruntergenudelt werden, legt der Autor hier viel Wert darauf, ganz verschiedenen Aspekte zu behandeln. Besonders gut gefallen mir (u. a.) die Unterkapitel „Wie wird eine neue Art beschrieben?“ (was sich wohl insbesondere an interessierte Nicht-Wissenschaftler richtet), „Plattschwanzgeckos im Volksglauben“ (Madagassen begegnen diesen Geckos teils mit großem Argwohn und Angst), „Gefährdung und Schutz“ (mit kritischer Betrachtung des Handels in den vergangenen Jahrzehnten und insbesondere der möglicherweise falschen Deklarierung mancher nur kleinräumig verbreiteter Arten) sowie „Platzschwanzgeckos im Freiland beobachten“ (inklusive Hinweisen zu Örtlichkeiten mit guter Erfolgsaussicht).
Für jeden, der sich für Haltung und Vermehrung interessiert, ist das praktische Kapitel obligatorisch – Uroplatus ist ein tolles Beispiel, wie ein Wissenszuwachs (verstärkt durch die Unterschutzstellung der Gattung und damit stark zurückgegangene Exporte?) auch bei Taxa mit speziellen Ansprüchen zu immer besseren Erfolgen in der Vivaristik führt. Der Autor bietet hier die bestmögliche Übersicht. Und beileibe keine Selbstverständlichkeit in so manch anderer Monographie sind diverse Tipps, etwa zum Transport neu erworbener Tiere, oder die Anregung, dass bei der Seltenheit vieler Arten eine gute Vernetzung und idealerweise eine Zuchtgemeinschaft wünschenswert wären.
Eine Ergänzung zum Teil „Terrarientechnik“: Die Anwendung von Lampen mit UV-B Anteil könnte nicht nur über die Anbringung von Leuchtmitteln über jedem Terrarium gelöst werden. In der Erhaltungszucht, beispielsweise auch von Amphibien, bedient man sich einer anderen Methode, über die man die Tiere in regelmäßigen, aber nicht täglichen Abständen in separaten Behältnissen einer entsprechenden Lichtzufuhr unter einer externen UV-Lampe aussetzt. Dafür würde nur ein langlebiges Leuchtmittel benötigt, der regelmäßige Austausch von Leuchtstoff- oder Energiesparlampen mit UV-B Anteil über jedem Terrarium würde entfallen. Zudem lässt sich über das Addieren der Betriebszeiten ziemlich genau ermitteln, wann die Lebensdauer der Lampe überschritten ist (bei der Ultra Vitalux wird diese beispielsweise angegeben). Sofern die Tiere auf einem dem Terrarium entnehmbaren Gegenstand ruhen (eingetopfte Pflanze, nicht fixierter Ast), sollten das Umsetzen und die Bestrahlung bei eingewöhnten Exemplaren keinen Stressfaktor darstellen.
Die Artporträts sind besonders auf eine gute „Bedienbarkeit“ ausgelegt; neben den deutschen sowie den englischen Trivialnamen und einer Verbreitungskarte ist hier zudem relevante Literatur genannt, das vereinfacht die Recherche. Wert gelegt wird auch auf die Abgrenzung zu ähnlichen Spezies; das ist – nach der Beschreibung neuer Arten – von großer Bedeutung. Zusätzlich zu den allgemeingültigen Angaben im vorherigen Buchteil wird außerdem gezielt auf die Bedürfnisse der einzelnen Arten bei Pflege und Vermehrung eingegangen. Zum Ende jedes Artkapitels folgt der gegenwärtige Schutzstatus.
Wer Uroplaten schon länger kennt, aber nicht jede taxonomische Neuerung genau verfolgt hat, wird sicher überrascht sein über die ganzen „neuen“ Spezies aus der U.-ebenaui-Gruppe mit den exotischen Artnamen, quasi eine zeitgemäße, sprachliche Würdigung der Herkunft der Tiere und der am Auffinden der Arten beteiligten Personen. Es ist mittlerweile nämlich nicht so unüblich, sich in Neubeschreibungen bei der Schaffung eines Artepithetons der jeweiligen Landessprache zu bedienen, auch wenn Terrarianer und Reisende vielleicht leise seufzen mögen. Schließlich wollen die Namen U. fetsy, U. finaritra, U. finiavana, U. fiera, U. fotsivava und U. kelirambo erst einmal eingeprägt sein.
Viel schwieriger als das Erlernen ebendieser fällt ohne Vorwissen aber sicher die Unterscheidung anhand des Äußeren der Tiere, sofern man nicht exakt weiß, wo sie gesammelt wurden. Die übersichtliche Zusammenfassung dieser neuen Arten respektive ihre Gegenüberstellung in einem populärwissenschaftlichen Werk war einmal nötig, etwa weil diejenigen Tiere, die Terrarianer seit Langem als U. ebenaui kennen, in Wahrheit meist zu einer ganz anderen Art gehören. Womit wieder einmal schön gezeigt wird, dass es eben keine exakte Trennung von Hobby und Wissenschaft geben kann und sich beide Bereiche etwas voneinander abschauen mögen, um den gesamten Wissensstand zu erweitern …
Für mich definitiv das Buch-Highlight dieses Jahres – aufgrund des Themas an sich, der Aufbereitung, der zugrunde liegenden Expertise und nicht zuletzt auch der sprachlichen Qualität. Ich wünsche ihm eine weite Verbreitung unter Haltern, Forschern und allen an Madagaskars biologischer Vielfalt Interessierten. Hoffen wir, dass diese kleinen Meisterwerke der Tarnung noch lange in Natur und Terrarium existieren werden. Die Erfolge in der Haltung und Vermehrung lassen Gutes hoffen, dieses Werk bündelt das Wissen und leistet damit einen bedeutenden Beitrag für die Herpetologie und die Terraristik.
Sebastian Wolf