margin-right: 20px; margin-bottom: 10pxReiß, Christian (2020): Der Axolotl – Ein Labortier im Heimaquarium 1864–1914. – Wallstein Verlag, Göttingen, 304 S., eine Reihe von s/w Zeichnungen; ISBN 978-3-8353-3306-2; 29,90 € (D); 30,80 € (A)

Der Autor legt das gekürzte Ergebnis seiner preisgekrönten Doktorarbeit vor. Er untersuchte die Geschichte der im 19. Jahrhundert zum ersten Mal mit wenigen Exemplaren nach Europa eingeführten Axolotl (Ambystoma mexicanum). Als Historiker und Kulturwissenschaftler blickt er dabei auf diese Amphibienart und die Menschen, die sich mit der Haltung beschäftigen und als Forscherinnen und Forscher die Axolotl als Untersuchungsobjekt entdeckten. Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Aquarium“ zieht sich dabei wie ein roter Faden durch das gesamte Buch.
Das erste Kapitel bietet eine spannende Einführung in die Geschichte der Haltung von Organismen in Aquarien. In Kapitel zwei stehen dann die ersten 34 Axolotl im Mittelpunkt, die 1864 lebend Paris erreichten. Sie waren ein Teil der Objekte, die eine französische Expedition aus Mexiko mitbrachte. Die Reaktion in der Öffentlichkeit wird beleuchtet, und es gibt einen Exkurs zu den Diskussionen über die von Alexander von Humboldt Anfang des 19. Jahrhunderts mitgebrachten Axolotl-Präparate. Im Mittelpunkt stand das Problem der Einordnung dieser seltsamen Organismen in einer Zeit der intensiven Entwicklung der Biologie als Wissenschaft.
In Kapitel drei befasst sich der Verfasser ausführlich mit der Betrachtung der Geschichte der Nutzung von Aquarien. Er nennt sie „künstliche Naturräume“ und dokumentiert vielfältig die Frühzeit der Vivaristik. In Kapitel vier stehen dann die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Mittelpunkt. Nachdem schon kurz nach dem Beginn der Haltung der Axolotl im Aquarium die Eiablage stattfand, begann die Erforschung der Metamorphose der Tiere. Die Leserinnen und Leser lernen dabei die Entwicklungsforscher Albert Kölliker, Marie von Chauvin und August Weisman kennen. Sie repräsentieren mit ihren Ansätzen die Ideengeschichte der frühen Entwicklungsbiologie und den Streit um die Evolutionstheorie.
In Kapitel fünf stehen dann wieder Aquarien im Mittelpunkt der Betrachtung. Diesmal wird die Rolle von Aquarien als methodisches Hilfsmittel der Lebenswissenschaften diskutiert. In Fallstudien zu den Aquarienanlagen an den Universitäten Leipzig, Würzburg, Freiburg und Kiel wird die Bedeutung der Haltung von Organismen in künstlichen aquatischen Naturräumen im späten 19. Jahrhundert deutlich. Selten findet man in der einschlägigen Literatur so fundierte Hinweise zur Bedeutung der Aquarienkunde für die Wissenschaft. In den Kapiteln sechs und sieben wird dann die Verbreitung der Axolotl in ganz Europa beschrieben, ein einmaliges Beispiel zur ersten Ausbreitungswelle eines heute in der biologischen und biomedizinischen Forschung unverzichtbaren Labortieres.
Zusammenfassend kann der Kauf des Buches jeder Aquarianerin und jedem Aquarianer unbedingt empfohlen werden. Die Studie bietet einen einmaligen Blick auf das Verhältnis von Vivarianern zu den von ihnen als Heimtieren favorisierten Arten. Und sie reflektiert die Vivaristik als Massenbewegung des 19. und des 20. Jahrhunderts. Man erfährt auch eine Menge über den Axolotl, eine in vielen Aspekten einzigartige Tierart. Fast ausgestorben im natürlichen Lebensraum und trotzdem weltweit verbreitet – dank der Aquaristik!
Hans-Peter Ziemek