Als die Brüder Grimm es 1812 in der Erstausgabe ihrer Kinder- und Hausmärchen veröffentlichten, war Runge bereits tot. Die Geschichte vom Fischer und seiner ewig unzufriedenen Frau, diesem nörgelnden Weib, sie wurde geradezu ein Klassiker. Der berühmte Vers, er wurde auch in dieser Bearbeitung von Renate Raecke in der ursprünglichen, der niederdeutschen Sprache belassen. Denn schließlich sind gerade diese vier Zei- len so etwas wie das Erkennungszeichen des Märchens, etwas Unveränderliches. Raecke, auch im Norddeutschen zu Hause, straffte den Text und fand mit Jonas Lauströer eine idealen und ganz besonderen Illustrator. Das Buch, so wird es angegeben, ist für kleine Leser ab drei Jahren, doch sind die Bilder wenig dazu angetan, in dreijährigen Knipsen positive oder kreative Gefühle zu erzeugen: Düster, dramatisch, aufwühlend sind die großen Bilder, monströs der gefangene Fisch, das Meer voller Blut, nachdem der Fischer den geangelten, verwunschenen Butt wieder ins Wasser setzt. Es ist wohl eher für etwas Größere geeignet, zum Vorlesen, zum Erklären, zum gemeinsamen Deuten. Gerade die Geschichte vom Fischer und seiner Frau ist ein idealer Klassiker und eine gute Parabel, um Aktualität und Symbolik einer Geschichte zu verdeutlichen: Was Unzufriedenheit, Gier nach mehr und noch mehr Besitz, Geld und Macht angeht, so könnte dieses 200 Jahre alte Märchen wohl kaum aktueller sein.

Die alte Fischersfrau, hinreißend getroffen auf dem Titelbild mit ihrem quengeligen Gesicht, sie kann nicht genug kriegen, schickt ihren Mann immer wieder zum Meeresstrand, immer wieder soll er mehr und noch mehr vom verwunschenen Prinzen fordern. Ein großes Haus will sie haben, Königin will sie sein, Kaiserin, gar Päpstin, und immer noch ist es nicht genug. So manche Blasen platzen eben, ob im Märchen oder in der Realität. Sehr ausdrucksstark sind die Illustrationen, „der Illustrator erlaubt sich, angeregt durch den klassischen Text, einen größeren Spielraum mit seinen Bildern.“ Nicht nur den Text unterstützend oder untermalend sind die Bilder des Hamburgers. Sieht man sie sich genau an, erzählt Lauströer da noch eine ganz eigene Geschichte, interpretiert auf seine ganz eigene Art. Umweltverschmutzung, verseuchtes Wasser, Zerstörung der Natur und eine gefährliche Verherrlichung der Macht, die fatalen Folgen, wenn Menschen immer mehr wollen. In den 48 Buchseiten steckt also weitaus mehr, als der erste Blick vermuten lässt. Eine ungewöhnliche Kombination von Bild und Text, aber absolut ansprechend! Barbara Wegmann