Wie können bedrohte Fischarten durch Erhaltungszuchtprogramme überleben?
| Von Hans-Peter Ziemek

Ein Erhaltungszuchtprogramm für eine Wirbeltierart ist ein aufwendiges und kostspieliges Unterfangen. Können Hobby-Aquarianer in diesem Feld aktiv werden?

Was ist eine bedrohte Art?
Nach konservativen Schätzungen gibt es auf diesem Planeten bis zu fünf Millionen Tierarten, mit einem deutlichen Schwerpunkt bei den Insekten. Die Kenntnis von unbekannten Arten wächst von Tag zu Tag, insbesondere mit jedem Zensus in den tropischen Regenwäldern oder im Ozean. Die 2010 abgeschlossene „Volkszählung“ im Meer (Census of Marine Life) erbrachte allein 6000 neue, unbeschriebene Tierarten. Auch viele Fangreisen ambitionierter Aquarianer dokumentieren immer wieder wissenschaftlich neue Arten.

Die Gruppen der Fische und Amphibien weisen dabei die größte Zahl von Neuentdeckungen auf. Bei den Vögeln und Säugetieren gibt es dagegen nur noch wenige solcher Funde.
Dieser Entwicklung steht die in der Geschichte unseres Planeten bisher größte Aussterbewelle gegenüber, bedingt durch den Menschen. Homo sapiens ist als erste Tierart in der Evolutionsgeschichte der Erde in der Lage, komplette Lebensräume zu zerstören, einzelne Arten zu vernichten und letztlich ganze Biome zu verändern.

Das führt zu einem hohen Bedrohungsgrad vieler Arten. Das Wissen über die Gefahr des Aussterbens haben wir aber lediglich für 16000 Arten. Diese Zahl bildet die Grundlage für die „Roten Listen“ der IUCN (International Union for the Conservation of Nature), einer Organisation der UNO, die weltweit das Aussterben oder Verbleiben von Arten auf der Erde bilanziert.

Auf ihren Listen taucht eine Vielzahl bekannter Arten auf, etwa alle großen Menschenaffen. Fische sind aber eher Mangelware – weniger, weil es ihnen weltweit so gut ginge. Vielmehr gibt es hier kaum belastbare Daten.

Oberstes Ziel der weltweiten Schutzmaßnahmen ist der „In-Situ-Artenschutz“. Die bedrohte Art soll durch Maßnahmen in ihren Lebensräumen in ausreichend großen und reproduktionsfähigen Populationen erhalten bleiben.

Ist dieser Schutz nicht gegeben und lässt sich die betreffende Art in Gefangenschaft halten und zur Nachzucht bringen, kann es zu Erhaltungszuchtprogrammen kommen. Solche Programme gibt es weltweit, koordiniert von der IUCN und umgesetzt von zoologischen Gärten in den verschiedenen Regionen.

Für Europa sind das die Euro­päischen Erhaltungszuchtprogramme (EEP), koordiniert von der European Association of Zoos and Aquaria (EAZA). Die EAZA betreibt zurzeit 150 EEP; keine befasst sich mit Fischen.

Meist geht es um Säugetiere, ein Beispiel ist die Oryx-Antilope (Oryx leucoryx). 1972 wurde das letzte wild­lebende Individuum auf der arabischen Halbinsel gesichtet, doch die
in Zoos verbliebenen Oryx reichten aus, um einen stabilen Bestand über ein Erhaltungszuchtprogramm zu etablieren und die Art inzwischen erfolgreich wieder in ihrer ursprünglichen Heimat anzusiedeln.

Für jedes EEP gibt es einen Koor­dinator, der alle Daten zu den in den Zoos vorhandenen Individuen sammelt und in einem Zuchtbuch dokumentiert. Er trifft auch sämtliche Entscheidungen in Bezug auf die Zusammenstellung von Zuchtpaaren oder den Verbleib von Nachzuchttieren. Die „besitzende“ Einrichtung tritt ihre Rechte an die von allen Beteiligten ­gewählte Instanz ab.

Rückschlüsse für die Aquaristik
Häufig liest man in Haltungs- und Nachzuchtberichten den Satz: „Diese Art sollte in unseren Aquarien erhalten bleiben.“ Die Aussage kann auch abgewandelt daherkommen, etwa so: „Leider ist diese Art bei Aquarianern nicht mehr zu finden.“
Viele Faktoren können hier zum Erfolg oder Misserfolg führen; jedenfalls geht es dabei im Regelfall nicht um Kriterien, die ein Erhaltungszuchtprogramm erfüllen müsste. Beispielsweise dürfte die zurzeit im Naturschutz aktuelle Diskussion über nationale Verantwortungsarten, die von einem Staat oder einer kleinen Staatengruppe erhalten werden müssen, weil sie nur dort vorkommen, in der Aquaristik nur schwer zu vermitteln sein.
Es wäre aber gerade bei Fischarten theoretisch möglich, ausreichende ­Populationen über einen längeren Zeitraum in Aquarien nach zu züchten. Interessant ist hier das Beispiel der Viktoriasee-Cichliden. Nach dem Aussetzen von Nilbarschen (Lates niloticus) in den 1980er-Jahren brachen die Populationen vieler endemischer Buntbarscharten zusammen. Verschiedene Einzelpersonen und Institutionen bemühen sich seitdem um Erhaltungszuchtprogramme. Der damalige Kustos des Aquariums im Horniman-Museum, Gordon Reid, gründete das privat finanzierte „Fish Rescue and Breeding Centre“ unter der Schirmherrschaft der „International Association for Research on and Conservation of Endangered Cichlids (IARCEC)“. Wohlklingende Namen, doch wie lange muss ein Erhaltungszuchtprogramm laufen?
Sucht man heute nach dieser Einrichtung und der Organisation, schweigt das Internet. Das Horniman-Aquarium wurde 2006 komplett renoviert und beschäftigt sich nun vornehmlich mit Erhaltungszuchtprogrammen für marine Organismen. Sicher gibt es immer noch Gefangenschafts-Populationen mehrerer Arten von Viktoriasee-Buntbarschen in Europa und Nordamerika. Der Versuch eines den EEP vergleichbaren Programms blieb aber ohne Erfolg.
Der „lange Zyklus“ der Weiterzucht, die übergreifende Koordination und Finanzierung aller beteiligten Personen und Institutionen scheiterten letztlich an der „Kurzatmigkeit“ der Amateure.

Wie lange müsste ein solches Programm laufen?
In der biblischen Geschichte der Arche Noah musste der Protagonist den Erhalt „seiner“ Arten nur eine kurze Zeit durchstehen, dann war die Sintflut vorbei. Größere Zuchtprogramme wären also nicht nötig gewesen.
Die heutige Wirklichkeit ist komplexer. Für welche Dauer müsste ein Erhaltungszuchtprogramm mindestens angelegt sein? Die Antwort der Profis ist eindeutig: Es sollten mindestens 200, besser 500 Jahre „überbrückt“ werden.
Die noch immer steigende Weltbevölkerung, die fortschreitende und unwiederbringliche Zerstörung von Lebensräumen spricht eine deutliche Sprache. Ein durch ein Staudammprojekt überflutetes Gebiet ist für einen langen Zeitraum für Wiederausgliederungsmaßnahmen nicht mehr nutzbar.
Aber bleiben wir realistisch. Die Aufgabe hieße, die ausgewählte Art mindestens 50 Jahre in Gefangenschaft zu erhalten. Das müsste machbar sein, denn immerhin gibt es verhältnismäßig unverfälschte Aquarienpopulationen etlicher Fischarten, die seit der Ersteinfuhr von ambitionierten Züchtern über vergleichbare Zeiträume erhalten wurden.

Wie viele Individuen werden benötigt?
Die Angaben für große Wirbeltiere setzen rund 500 nicht miteinander verwandte Individuen voraus, um den Bestand über Generationen ohne Krisen in Gefangenschaft zu erhalten. Doch es gibt Gegenbeispiele. So stammen alle in Gefangenschaft gehaltenen Goldhamster von den Nachkommen eines einzigen, in den 1930er-Jahren bei Aleppo ausgegrabenen, trächtigen Weibchens ab.
Damit betreten wir das weite Feld der Genetik. Bezüglich ihres Genoms gibt es sehr vitale Arten, die lange Zeit ohne Probleme auch bei genetischer Verwandtschaft weiter vermehrt werden können, vor allem wenn die Ausgangsindividuen diese Eigenschaft aufwiesen. Werden aber zufällig kranke Tiere gefangen, dann wird es schwierig mit der Weiterzucht. Das gilt auch für ein ungünstiges Geschlechterverhältnis und ähnliche Faktoren.

Wo sollen die Nachzuchttiere wieder ausgesetzt werden?
Wurde der ursprüngliche Lebensraum einer Art komplett zerstört – wo sollen die Nachzuchttiere dann wieder ausgesetzt werden? Ein Beispiel für diese Problematik ist der Axolotl (Ambystoma mexicanum). Die Art wird seit 2002 von der IUCN als ausgestorben geführt, obwohl ihre Gefangenschaftspopulation weltweit riesig sein dürfte. Doch die Seen, in denen die Querzahnmolche einst vorkamen, wurden unwiederbringlich von der Metropole Ciudad de México überwuchert. Wer würde also jetzt geeignete Gewässer in Mexiko definieren, und wer überwacht die Wiedereingliederung an Ort und Stelle?
Eine gebietsfremde Auswilderung ist nicht möglich. Die Artenschutzregelungen sind in diesem Punkt eindeutig, und die Berner Konvention zur „Nichtverbreitung“ von Pflanzen- und Tierarten durch den Menschen formuliert dieses Prinzip.
Das gilt auch für „Ökotypen“. Das Exotarium des Frankfurter Zoos züchtete lange Jahre erfolgreich Gelbbauchunken (Bombina variegata) nach, in deren Adern aber „fränkisches Blut“ floss. Ein Aussetzen in Hessen war daher nicht möglich. Das wirkt klein kariert, doch lässt sich das Prinzip nicht in einer anderen Form umsetzen.

Art- und Fundortproblematik
Gerade bei den Fischen resultiert aus der Diversität vieler Arten ein großes Problem für ihren Erhalt. Wie genau ist die Art definiert, die man erhalten möchte? Hinter den in ihrem Erscheinungsbild (Phänotyp) gleich aussehenden Regenbogenforellen Englands verbergen sich vielleicht 50 Arten, deren Erbgut sich voneinander unterscheidet (Genotyp). Das wurde erst spät erkannt, so dass jetzt ein Mix unterschiedlicher Genotypen in den Teichen der Züchter schwimmt. Das Dilemma lässt sich auf viele tropische Fischgruppen übertragen.
Erweitert auf Fundorte, wird es dann noch unübersichtlicher. Vielleicht habe ich eine Art vor mir, die sich phänotypisch an verschiedenen Fundorten unterscheidet, genotypisch aber tatsächlich immer diese eine Spezies darstellt. Dann müsste ich ­jeden Fundorttyp und jeden Ökotyp getrennt halten und wie eine eigene Art behandeln.

Das Problem der „Zuchtwahl“
Charles Darwin nannte sein wichtigstes Werk „Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“. Das Buch erschien 1859, und sein Verfasser begründete darin die Evolutionstheorie. Mit „Zuchtwahl“ beschreibt er das universelle Prinzip der „Selektion“, die Auswahl der überproduzierten Nachkommen eines Organismus durch die jeweilige Umwelt. Letztlich überleben die am besten angepassten Individuen.
Darwin interessierte sich sehr für die Zucht von Tauben und Geflügel.
Er züchtete selbst und diskutierte mit anderen Praktikern. So lernte er eine Menge über das Phänomen „natürliche Selektion“ von Tiere züchtenden Menschen. Sie übernehmen den Part der auswählenden Umweltfaktoren.
Und so könnte es auch bei Erhaltungsprogrammen für im Aquarium nachzüchtbare Arten geschehen. Die natürliche Umwelt fällt aus, und der „Selektor“ Mensch verändert die Art nach seinen Vorstellungen. Viele Zwergbuntbarsche haben heute in Form, Farbe und Beflossung nur noch wenig mit den ursprünglich eingeführten Wildtieren zu tun.

Skeptischer Blick in die Zukunft
Fasst man alle aufgeführten Aspekte zusammen, zeigt sich die ganze Tragweite des Problems. Aquarianer sind potenziell in der Lage, mithilfe moderner Technik eine Fülle der weltweit bedrohten Fischarten durch Zuchtprogramme für die Nachwelt zu erhalten. Das kann aber nur funktionieren, wenn nationale Institutionen und Verbände koordinierend tätig werden und allen beteiligten Hobby-Aquarianern die Bedeutsamkeit ihrer Aufgabe klar ist.
So sind den in diesem Heft vor­gestellten Projekten alle verfügbaren Daumen zu drücken. Und vielleicht findet sich hier ja auch eine Aufgabe, die Vereinigungen wie VDA oder DCG zu ganz neuen Höhenflügen in die Zukunft verhelfen könnte?