„Killer-Algen“ und „Trash-Fische“ sind Bezeichnungen für Organismen, die ein normales Dasein irgendwo auf diesem Planeten führten, bis der Mensch sie absichtlich oder unabsichtlich an andere Stellen der Erde brachte – mit katastrophalen Folgen. | Von Hans-Peter Ziemek

„You cannot change just one thing“ (YCCJOT) – das ist die Grunderkenntnis jedes Einbürgerungsversuchs von Pflanzen- oder Tierarten. Eine neue Organismenart wirkt in den Lebensräumen, in denen sie angesiedelt wird, auf eine Vielzahl von Faktoren und ruft häufig eine ganze Reihe von Veränderungen hervor. Das für Aquarianer bekannteste Beispiel dürfte das Einbringen von Nilbarschen (Lates niloticus) im ostafrikanischen Viktoria-See sein.



Der allgemeine Mythos geht etwa so: Die Nilbarsche wurden ausgesetzt, verdrängten alle endemischen Arten, insbesondere den Haplochromis-Artenschwarm, und heute ist der Viktoria-See verödet.

Schaut man genauer hin, zeigt sich die Komplexität eines solchen Einbürgerungsversuchs. Die ersten Nilbarsche erreichten schon vor langer Zeit den Viktoria-See. Im Jahr 1954 ­gelangten wohl die ersten Tiere aus dem ­Albert-See über die kenianische Fischereibehörde in dieses Gewässer. 1962 setzten britische Kolonialbeamte 35 Fische bei Entebbe in Uganda aus, und 1963 folgten 339 Individuen in Kenia; diese Tiere stammten aus dem Turkana-See.

Der 70.000 Quadratkilometer bedeckende Viktoria-See (das entspricht etwa der Fläche Bayerns) wurde zu einem großen Aquakultur-Experiment. Die Produktion von tierischem Eiweiß sollte sozusagen von den kleineren, endemischen Fischarten auf große, wirtschaftlich besser nutzbare Spezies „umverteilt“ werden.

Zehn Jahre brauchten die Nilbarsche, um sich zu etablieren. Lange Zeit dominierten einzelne, größere Exemplare, und erst Mitte der 1980er-Jahre tauchten plötzlich massenhaft Jungfische auf – kein Problem für Lates, kann doch ein Weibchen in einer Laichperiode bis zu 16 Millionen Eier produzieren!

Kurze Zeit später bestanden 80 Prozent der Fischbiomasse im Viktoria-See aus Nilbarschen. Im offenen Wasser waren innerhalb weniger Jahre über 90 Prozent aller Haplochromis-Arten verschwunden. Sie waren samt und sonders von den Nilbarschen aufgefressen worden. Danach folgten die früheren Haplochromis-Jäger, etwa Lungenfische (Protopterus) und verschiedene Welse (Bagrus, Clarias).

Aber es gab auch zwei Tierarten, die von den Veränderungen im Viktoria-See profitierten. Für die Plankton fressende Sardine Rastrineobola argentea, von den Einheimischen „Dagaa“ genannt, war der Tisch plötzlich reich gedeckt. Der zweite Nutznießer war die Garnele Caridina nilotica, die sich über die zunehmenden Mengen an organischem Material freute. Da es unter den verschwundenen Buntbarschen viele Insektenlarven- und Schneckenfresser gegeben hatte, kam es außerdem zu Massenvermehrungen verschiedener Kerbtier- und Weichtierarten.

Gleichzeitig wurde die Landwirtschaft in den Uferregionen immer intensiver, was zu hohen Einträgen von Nährstoffen in Form von Dünger und Gülle in das Seewasser führte. Außerdem brauchte man mehr Holz, um das fettreiche Lates-Fleisch zu trocknen. Das führte zu stärkerer Erosion an den Ufern und zu weiteren höheren Stoffeinträgen in den See.
Der Viktoria-See begann sich zu verändern. Hohe Mengen organischen Materials führten zu sauerstofffreien Zonen. Davon waren und sind zwischen 50 und 70 Prozent des Wasserkörpers betroffen. Dort konnte kein Organismus überleben.

Schließlich kam noch ein weiterer Zuwanderer ins Spiel. Die ursprünglich aus Südamerika stammende Wasserhyazinthe (Eichhornia crassipes) breitete sich rasant aus und verstopft inzwischen große Teile des Sees. Diese Schwimmpflanze profitiert wieder von den rasch zunehmenden Nährstoffgehalten und dürfte in Zukunft eines der großen Probleme des Ökosystems werden. Sie gehört zu den „aquatic weeds“, eigentlich eher unauffälligen Pflanzenarten, die, in einen neuen Lebensraum verbracht, plötzlich zu aggressiven Neubürgern werden. Ähnliche Beispiele sind Hydrilla verticillata in den USA oder die verschiedenen Azolla-Arten.

Und der Nilbarsch? Auch ihm geht es nicht besonders gut. Infolge Überfischung sind seine Populationen bedroht, und immer weniger große Exemplare werden gefangen.
So zeigt sich allmählich ein sehr komplexes Bild. Letztlich ist Homo sapiens Hauptverursacher der Veränderungen am und im Viktoria-See. Inzwischen leben beinahe 40 Millionen Menschen in direkter Umgebung an und von dem Gewässer. Die Überfischung war schon vor der Lates-Invasion ein Problem, und auch die Verseuchung des Seewassers wurde nicht durch die ausgesetzte Art verursacht.

Eine interessante Nebenerscheinung der ökologischen Katastrophe ist die Reaktion der überlebenden Haplochromis-Arten. Inzwischen wurden „modifizierte“ Individuen noch existierender Arten gefunden – und Vertreter bisher unbekannter Spezies. Offenbar ist die „evolutionsbiologische Potenz“ so groß, dass der verbliebene Artenschwarm auf den Fressdruck durch Lates reagiert. Es kommt zu Verzwergung, höheren Nachwuchszahlen und Wechsel der bevorzugten Lebensräume. Oder, wie Michael Crichton in seinem Buch „Vergessene Welt“ schreibt: „Das Leben findet immer einen Weg.“

Reisen per Anhalter
Der heute wie ein Linienbussystem ablaufende, weltumspannende Warentransport mittels Containern über die Meere führt zu einer hohen Zahl von Schiffsankünften in den Seehäfen der Welt. Allein in Hamburg legen Jahr für Jahr über 5.000 Containerschiffe an. Jedes dieser Schiffe führt in seinen Tanks Ballastwasser. Ein großes Containerschiff kann bis zu 10.000 Tonnen Meerwasser mitnehmen. Dieses Wasser wird in den Ausgangshäfen, etwa in der Karibik oder im chinesischen Meer, aufgenommen und im Hafen oder vor der Küste des Ziellandes aus dem Schiffsrumpf gepumpt.

Das summiert sich allein in deutschen Häfen und vor der deutschen Küste auf etwa zehn Millionen Tonnen, davon ein Fünftel aus Übersee. Wie viele Organismen mit einer solchen Wasserladung ankommen, lässt sich nur schätzen. Eine Untersuchung des Ballastwassers von 125 in amerikanischen Häfen aus Japan eintreffenden Frachtschiffen förderte Vertreter von 357 Arten zutage – alle noch lebend und teils in riesigen Individuenzahlen. Inzwischen wurden insgesamt rund 4.000 Arten in Ballastwasserproben nachgewiesen.
Es gibt Hochrechnungen, denen zufolge pro Sekunde 69 Individuen im Ballastwasser oder als Aufsitzer auf der Außenhaut von Schiffen in Deutschland ankommen. Ein durchschnittlich großes Schiff beherbergt rund vier Millionen tierische Bewohner, von denen etwa 60 Prozent nicht einheimischen Arten angehören. Auf diesem Weg gelangten in den vergangenen 150 Jahren 100 registrierte Neobiota in Nord- und Ostsee.

Ballastwasser wird seit 1880 weltweit verwendet. So kann man sagen, dass Seefahrer das größte Experiment mit Pflanzen- und Tierarten aller Zeiten begannen – mit unabsehbaren Folgen.

Bekannte und gut dokumentierte Fälle von Invasoren aus Ballastwasser sind die Zebramuschel Dreissena polymorpha, die Rippenqualle Mnemiopsis leidyi und die Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis; siehe Seite 43).

Interessant im Zusammenhang mit der Rippenqualle ist die Reproduzierbarkeit biologischer Invasionen. Kurz nachdem M. leidyi im Ballastwasser 1982 aus dem Atlantik ins Schwarze Meer verfrachtet worden war, brach dort die Fischerei zusammen, da die Neuankömmlinge als Planktonfresser den Fischen die Nahrungsgrundlage streitig machten. Dieses Problem endete, als 1997 – ebenfalls in Ballastwasser – eine weitere Rippenqualle (Beroë ovata) ins Schwarze Meer gelangte. Sie ernährt sich von Mnemiopsis, und so pendelte sich ein Gleichgewicht zwischen beiden Arten ein.

Im Jahr 1999 geriet dann Mnemiopsis ins Kaspische Meer, und dort wiederholte sich die Geschichte. Übrigens wurde M. leidyi 2006 erstmals in der Ostsee nachgewiesen …

Die Alge aus der Wilhelma
Ein Beispiel mit Bezug nach Stuttgart ist die Ausbreitungskarriere von Caulerpa taxifolia. Diese Grünalge stammt ursprünglich aus dem Indopazifik. Im berühmten Wilhelma-Aquarium wurde die Art in Meerwasserbecken kultiviert. Einige Exemplare gelangten in den 1980er-Jahren in das Meeresaquarium von Monaco, damals noch geleitet von Jacques Cousteau. Ja, und dann tauchte die Alge 1984 erstmals im Mittelmeer vor Monaco auf.

Ob absichtlich ausgesetzt oder mit dem Abwasser des Aquariums ins Freie gelangt – die inzwischen als „Killer“ bezeichnete Art breitete sich rasant im Mittelmeer aus. Seitdem geht es den ausgedehnten Seegraswiesen (Posidionia) „an den Kragen“, Caulerpa überwuchert mühelos viele Standorte. Das Seegras wächst drei Zentimeter im Jahr, die Alge zwei Zentimeter am Tag!

Im Jahr 1994 war die Kolonie vor Monaco 1.500 Hektar groß, sechs Jahre später umfasste sie 6.000 Hektar. Außerdem tauchte die Alge nach und nach an anderen Stellen des Mittelmeers auf. Die Weiterverbreitung über abgerissene Pflanzenteile stellte bei dem regen Schiffsverkehr eine sehr effektive Strategie dar. Belege für diese Vermutung sind die Ansiedlungen neuer Kolonien in der Nähe von Häfen. So eroberte Caulerpa die Riviera, Sizilien, Elba, die Balearen und die kroatische Küste.

Auf Mallorca versuchten Berufstaucher, die Pflanzen manuell zu beseitigen. Vollständig gelang dieses pro Quadratmeter 400 Euro teure Unterfangen nie.

Ein Versuch zur Bekämpfung der Alge ist das Aussetzen eines Fressfeindes aus ihrer ursprünglichen Heimat. Zurzeit laufen Versuche mit Elysia subornata aus Indonesien. Im Labor frisst diese Nacktschnecke Caulerpa. Sie lässt sich von deren Algengiften auch nicht abschrecken, sondern baut sie sogar in ihren eigenen Körper ein. Doch denken wir an das YCCJOT-Prinzip. Welche Folgen könnte das Aussetzen dieser Art nach sich ziehen? Womöglich würde es eine noch viel größere Katastrophe heraufbeschwören.

Inzwischen passiert im Mittelmeer aber etwas, was bei vielen biologischen Invasionen zu beobachten ist. Die Vorkommen von Caulerpa breiten sich gegenwärtig nicht weiter aus, und um Mallorca herum sind sie sogar komplett verschwunden. Die Gründe dafür sind noch nicht klar. Hat sich im Mittelmeer doch ein endemischer Fressfeind gefunden? Zeigt die Alge eine späte Reaktion auf irgendwelche Umwelteinflüsse in ihrem neuen Lebensraum?

Pflanze mit „Pest-Potenzial“
Ein schönes Beispiel für eine wechselvolle Einbürgerungsgeschichte ist die Wasserpest (Elodea canadensis). Die Art wurde bereits im 19. Jahrhundert von Nordamerika nach Europa gebracht. Im Jahr 1836 tauchte sie in Irland auf. Überall in Europa wuchs sie an ihren neuen Standorten von Anfang an massenhaft, 1852 verstopfte sie die Cam bei Cambridge.

Um 1860 erreichte Elodea das europäische Festland und wurde in den Niederlanden, Belgien und Deutschland entdeckt. 1876 fand man sie im Rhein bei Budenheim. 1878 hielt man sie im Botanischen Garten von Marburg, dort „entkam“ sie in die Lahn und wurde am 15.7.1879 flussabwärts in einem Teich bei Gießen gefunden.

Bei Elodea ist es ähnlich wie bei Caulerpa: Kleine, abgerissene Sprossstücke reichen aus, um am neuen Standort weiterzuwachsen. In Mittelhessen (wie auch in vielen anderen Teilen Deutschlands) breitete sich E. canadensis rasant aus. 1899 wurden Polizeivorschriften zur Vernichtung der Pflanze in Gießen und Umgebung erlassen, da sie flächendeckend die Wassermühlen der Region außer Funktion setzte. Jeder Pächter musste die von ihm betreuten Bachabschnitte zweimal im Jahr komplett räumen und die gesammelten Pflanzen anschließend mit Schwefelsäure übergießen.

Doch das half erst einmal wenig. Die Art wucherte fast alle Gewässer in Mitteleuropa förmlich zu, Hermann Löns nannte sie das „grüne Gespenst“. Doch dann stagnierten die Bestände, Elodea wurde zu einer „normalen“ Art, die sich inzwischen in unseren Gewässern eher unauffällig etabliert. Was war geschehen?

Nematoden (Fadenwürmer) hatten sich die Sprossköpfe der Pflanzen als guten Fresspunkt auserkoren und begannen so deren biologische Eindämmung. Und dann kam noch ein „Mitbewerber aus der eigenen Familie“ hinzu. Eine weitere Elodea-Art erreichte Europa: Elodea nuttallii machte ihrer Schwester Konkurrenz (alle E. canadensis-Individuen in Europa sind übrigens weiblich). Mit noch größerer Potenz zur Nutzung zusagender Umweltbedingungen verbreitete sie sich effektiver als E. canadensis.

Der Invasorentausch
Und dann ist da noch das Beispiel der Regenbogenforelle (Oncorhynchus mykiss) und der Bachforelle (Salmo trutta). Die zuerst genannte Art stammt aus Nordamerika und ist inzwischen weltweit in 31 Ländern etabliert. Die zweite Art gehört zur Fauna Mitteleuropas und hat es immerhin in 28 weitere Länder geschafft. Beide Arten repräsentieren die effektive Grundausstattung eines erfolgreichen Invasionsorganismus: Prädator (Räuber) oberer Ordnung in Nahrungsnetzen, mobil im neuen Lebensraum und anpassungsfähig.
Die Regenbogenforelle ist die Art mit der größeren Anpassungsfähigkeit, damit hat sie in der direkten Konkurrenz in europäischen Gewässern (seit 1882) durchaus die Flossenspitze vorn.

Aber auch die Bachforelle kann sich durchsetzen. In Neuseeland 1867 ausgewildert, unterdrückte die Art in schnell fließenden Gewässern die dort endemischen Hechtlinge (Familie Galaxiidae). Dieser Vorgang wurde von Ökologen intensiv untersucht, und so kann man hier exemplarisch die genauen Folgen einer biologischen Invasion studieren. Unterhalb von Wasserfällen verdrängen die größeren Forellen die Galaxiiden. Damit steigt der Fressdruck auf Algen abweidende Wirbellose, die mehr Zeit zum Verstecken benötigen. In der Folge erhöht sich signifikant die Produktion an Algenbiomasse um das Sechsfache im Vergleich zum Zustand vor der Forellenzuwanderung.

Fazit
Was bleibt als Schlussfolgerung aus der bisherigen Geschichte biologischer Invasionen? Die Globalisierung wird immer mehr Pflanzen- und Tierarten weltweit verfrachten, ein Vorgang ohne Beispiel in der Erdgeschichte. Häufig wirkt der Faktor Zeit bei der jeweiligen Invasionsgeschichte. Der Mensch als Regulator hingegen konnte sich nicht besonders profilieren. Allenfalls wenige Reparaturerfolge sind zu verzeichnen.
Und was bedeutet das für Aquarianer? Sie sollten sich genau überlegen, welche Organismen sie aus ihren Becken „einfach einmal so“ aussetzen, denn die Folgen könnten fatal sein.  

Literatur
Kowarik, I. (2010): Biologische Invasionen. Neophyten und Neozoen in Mitteleuropa. Zweite Auflage. – Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart.
Ludwig, M. (2010): Invasion. Wie fremde Tiere und Pflanzen unsere Welt erobern. – Verlag ­Eugen Ulmer, Stuttgart.
Nentwig, W. (2010): Invasive Arten (UTB). – Haupt-Verlag, Bern.
Nentwig, W. (Hg.) (2011): Unheimliche Eroberer. – Haupt-Verlag, Bern.

Neobiota und Archaeobiota
Mit der Entdeckung Amerikas durch Christopher Columbus im Jahr 1492 begann eine neue Zeitrechnung – zumindest in Bezug auf das Vorkommen von Pflanzen- und Tierarten. Denn mit den nun regelmäßig stattfindenden Überseereisen begann auch der beabsichtigte oder unabsichtliche Transport von Pflanzen- und Tierarten in Regionen, die sie auf natürlichen Wegen nie erreicht hätten. Als „Neobiota“ gelten sie endgültig, wenn sie sich über mehrere Generationen in ihrem neuen Lebensraum erfolgreich fortpflanzen können.
Alle vor diesem Zeitraum durch Menschen umgesiedelten Arten sind keine „Neubürger“, sondern „Archaeobiota“. Dazu zählen beispielsweise die im Ackerbau eingesetzten Getreidearten und die mit ihnen verschleppten „Ackerwildkräuter“.

Rechtlich umfassend wurde der Umgang mit Neobiota in der Biodiversitätskonvention von Rio 1992 geregelt (Artikel 8): „Jede Vertragspartei geht die Verpflichtung ein, soweit möglich und sofern angebracht, das Einbringen gebietsfremder Arten, welche Ökosysteme, Lebensräume oder Arten gefährden, zu verhindern und diese Arten zu kontrollieren oder zu beseitigen.“