War die Sendung eingetroffen, rief uns jemand vom Expressgut an, und wir konnten die Ware in Empfang nehmen. Dabei stellten wir fest, dass die Hinweise, die auf den Paketen angebracht waren und eine korrekte Zwischenlagerung gewährleisten sollten, stets beachtet wurden. Also wurden die Bachröhrenwürmer niemals an der Heizung abgestellt, aber Hamstern, Zwerghasen oder tropischen Vögeln war dieser Luxus bei Bedarf durchaus vergönnt. Übrigens kann ich mich nicht an transportbedingte Ausfälle erinnern, selbst bei Goldfischen, die schon einmal zu 50 oder 100 Exemplaren in einem riesigen Beutel auf die Reise gingen. Als ich später eine Stelle bei der Post antrat, lernte ich auch diese Seite der Beförderung lebender Tiere kennen. Da Bahn und Post seinerzeit den Transport per Eisenbahn gemeinsam durchführten, konnten beide Partner die Bedingungen ihres „Mitbewerbers“ studieren. Tiere, die an unserem Ort ausgehändigt werden sollten, kamen unverzüglich mittels Aufzug in die Expressgut- Abteilung (bei der Post hieß das „Schnellpaket mit Sperrgutvermerk“), was in jedem Fall eine manuelle Bearbeitung gewährleistete. Wie schon erwähnt, bearbeiteten wir bei der Post eher die kleineren Sendungen. Bei der Bahn hingegen sah ich oft ganze Batterien von weißen Ratten und Mäusen, die an Versuchstierlabore gingen. Es gab Boxen mit Hühnerküken oder Weidenkörbe, in denen ausgewachsene Gänse schnatterten. Einmal entdeckte ich einen Metallkäfig, aus dem heraus eine junge Raubkatze unglücklich jeden ansah, der sich ihr näherte. Bei uns wurden eher ganze Bienenvölker aufgeliefert – vermutlich, weil Imker oft in Gemeinden leben, die nicht unbedingt über einen Bahnhof verfügen. Gab es nun – transportbedingt – ein Loch in der Verpackung, hielt sich schon einmal eine größere Zahl der Krabbeltiere außen an der Kiste auf. Hatte ich Dienst, zog man mich als „Tierkundigen“ gern hinzu. Ich brachte dann die ganze Sendung – so, wie sie war – in den Hof, wo es am Abend meist recht kühl wurde. Das veranlasste die meisten Insekten, sich nach und nach wieder in ihre Behausung zurückzuziehen. Anschließend verschloss ich das Paket neu, und der Bienenstaat konnte seine Reise zum Empfänger fortsetzen. Natürlich blieb es nicht aus, dass ich bei solchen Aktionen schon einmal mit einem Stich „belohnt“ wurde. An einem Samstag hatte der Postbote vergeblich versucht, den Empfänger eines Schnellpakets mit Hundewelpen zu erreichen. Da sich unter der Telefonnummer des Absenders ebenfalls niemand meldete, blieben die erbärmlich jaulenden Tiere zunächst einmal bei uns. Die kleinen Hunde waren uns wichtiger als die Vorschrift, die das Öffnen der Sendungen untersagte. Wir versorgten die Vierbeiner mit Wasser und Streicheleinheiten, was sie schon bald beruhigte. Ein schnell losgeschick- ter Kollege kaufte in einem Laden Hundefutter, und so konnte der am Montag endlich ausfindig gemachte Züchter seine Lieben unbeschadet zurückerhalten. Die letzte Geschichte, die ich erzähle, wäre vielleicht auch für den ständigen DATZ-Autor interessant gewesen; er hätte sie bestimmt passend wiedergegeben. Sendungen, die im Nahverkehr von Post und Bahn unterwegs waren, wurden oft im gleichen Abteil untergebracht, und die beiden Unternehmen luden und entluden jeweils ihre Produkte. So ging einmal einer von uns Postlern zu einem Waggon, der im Stumpfgleis abgestellt war, von wo er erst Stunden später zu seinem Heimatbahnhof zurückrollen sollte. Der gute Mann kam aber ohne Briefpostbeutel zurück und erklärte kategorisch, dass er den Zug nicht betreten würde, denn dort habe ihn ein „hässliches Tier“ bedroht. Gemeinsam mit einem anderen, mutigeren Kollegen sah ich mir das „Horror- Abteil“ an. Da fauchte uns zwischen den Postbeuteln doch tatsächlich ein ungefähr einen Meter langer Waran an! Er hatte sich in seiner Styroporbox offenbar nicht recht wohlgefühlt und die Vorschrift mit den Luftlöchern allzu wörtlich genommen. Nachdem er mit seinen scharfen Krallen ein großes Loch in die Wand der Box gekratzt hatte und daraus hervorgeklettert war, wurde es ihm anscheinend etwas kühl, und er nutzte unsere Briefbeutel als willkommenen Aufwärmort. Mein Kollege fixierte den Waran vorsichtig mit einem Besen in dessen Nacken. Mit behandschuhter Hand ergriff ich ebenso behutsam den Hinterleib des Reptils, immer den nicht ungefährlichen Schwanz im Blick, um die Echse in einen leeren Postsack zu bugsieren. Langer Rede kurzer Sinn: Auch dieses Tier konnten die Bahnkollegen von der Expressgut- Abfertigung einem zufriedenen Kunden aushändigen. Von derartigen Aktionen bekamen in der Regel weder Absender noch Empfänger der Sendungen etwas mit, heute haben sich diverse Kurierdienste auf solche heiklen Transporte spezialisiert. Wie auch immer, ich freue mich auf weitere Geschichten vom „Fischflüsterer“, selbst wenn er gelegentlich als „Fischlästerer“ auftritt ... Franz-Josef Werner