margin-right: 20px; margin-bottom: 10pxObwohl nirgendwo mehr im größten See Deutschlands zu übersehen, bleibt es unklar, welche ökologischen Faktoren die Massenver­mehrung des Drei­stachligen Stichlings (Gas­ter­osteus aculeatus) ausgelöst haben.
Das Schnorcheln im Bodensee verspricht zurzeit eine besondere Überraschung. Überall trifft man auf den Dreistachligen Stichling. Es handelt sich nicht um vereinzelte Exemplare, sondern Stichlinge sind die häufigsten Fische, denen man unter Wasser begegnet. Ob man in Überlingen, Bodmann oder auf der Reichenau ins Wasser springt, es dauert nur Sekunden, bis der erste Stichling an der Taucherbrille vorbeischwimmt. Seltsamerweise ist sogar der Anteil der Stichlinge im Freiwasser extrem hoch. Die Mitarbeiter der Fischereiforschungsstelle Langenargen sind gerade dabei, die explosionsartige Vermehrung der Kleinfische zu untersuchen.
Seit etwa drei oder vier Jahren ist dieser rapide Anstieg zu beobachten, aber zu dem dreistachligen Phänomen gibt es mehr Fragen als Antworten. Es ist noch nicht einmal geklärt, seit wann genau die Fischart im Bodensee lebt und wie sie dort hingekommen ist.
Meist wird spekuliert, dass Dreistachlige Stichlinge erst vor einem Jahrhundert in das größte Binnengewässer Mitteleuropas gelangt sind – wahrscheinlich mit menschlicher Hilfe, denn es ist kaum möglich, dass die Kleinfische aus dem Rheinsystem über den 23 Meter ­hohen Rheinfall bei Schaffhausen in Richtung See aufgestiegen sind.
Die ökologischen Faktoren, die die Massenvermehrung der Stichlinge ausgelöst haben, bleiben unklar. Sind es gestörte Parasiten-Fisch-Interaktionen, die normalerweise die Entwicklung der Stichlingspopulationen einbremsen? Interessant ist auch, dass die Stichlings­dominanz ausgerechnet vor dem Hintergrund stetig abnehmender Nährstoffkonzentrationen im Bodensee stattfindet.
Bei meinen Schnorchel-Ausflügen im Juni tauchte ich mitten in die Fortpflanzungssaison der Stichlinge ein. In den dichten Matten aus Armleuchteralgen bauten sich die rotbauchigen Männchen ihre Nester, die dann von prall mit Eiern ­gefüllten Weibchen zum ­Laichen besucht wurden. Es war wie in einem Schulbuch zum Thema Verhaltensbio­logie. Überall Balzverhalten und übereifrige Männchen! Was der Nobelpreisträger Niko Tinbergen einst vor dem Aquarium sitzend analysierte, lässt sich im sommerlichen Bodensee auf nahezu jedem Quadratmeter des Litorals beobachten.
Ist es vor allem ihr Brutpflegeverhalten, das die Stichlinge so erfolgreich werden lässt? Die dichten Bestände der Armleuchteralgen (Charales) scheinen ideal zum Anlegen der Nester zu sein.
Die Armleuchteralgenmatten wiederum sind eine Folge der nährstoffarmen Wasserqualität. Man sollte nicht vergessen: In den 1970er- bis 1980er-Jahren hatte der Bodensee stellenweise noch den Charakter einer eutrophierten Brühe. Für Armleuchteralgen, die sensibel auf Wasserbelastungen reagieren, waren ­damals die Bedingungen schlecht.
Heute sind diese Algen die eigentlichen Gewinner von Ringkanalisation und verbesserter Klärtechnik und indirekt mit ihnen womöglich auch der Dreistachlige Stichling.
Martinus Fesq-Martin