Heißt es nach einem Nachttauchgang im Roten Meer: „Wir haben eine Seeschlange gesehen!“, dann kann es sich nur um die Schilderung einer Begegnung mit einem Schlangenaal handeln, denn im Roten Meer gibt es keine Seeschlangen. Auf den ersten Blick meint man tatsächlich, eine Schlange vor sich zu haben, doch bei genauerem Betrachten vermisst man das für Kriechtiere typische Schuppenkleid, und der spitz zulaufende Kopf sieht auch ganz anders aus als bei einem Reptil. Dafür kann man auf den hinteren drei Vierteln des Körpers eine durchgehende Rückenflosse erkennen, und eine lange Afterflosse auf der Körperunterseite ist ebenfalls vorhanden.
Das Verbreitungsgebiet des meist nachtaktiven, bis rund 90 Zentimeter langen Gebänderten oder Geringelten Schlangenaals (Myrichthys colubrinus) reicht vom Roten Meer bis zum Indo-Westpazifik. Im östlichen Indischen Ozean und im Westpazifik kann man ihn tatsächlich mit einer Seeschlange, nämlich der sehr giftigen Gelblippen-Seekobra (Laticauda colubrina), auch Nattern-Plattschwanz genannt, verwechseln: Diese Schlange weist das gleiche Bindenmuster auf und wird von dem ungefährlichen Schlangenaal imitiert.
Schlangenaale (Familie Ophichthidae) sind weltweit mit ungefähr 300 Arten in den Küstenregionen aller tropischen und subtropischen Meere vertreten, wo sie Sandböden, Seegraswiesen oder Korallenriffe bewohnen. Der wissenschaftliche Name dieser ungewöhnlichen Fische stammt aus dem Griechischen (ophis = „Schlange“; ichthys = „Fisch“). Sie besitzen einen langgestreckten, schlangenartigen Körper mit endständigem bis unterständigem Maul. Brustflossen sind entweder sehr klein, oder sie fehlen völlig, ebenso die Bauchflossen. Bei zahlreichen Arten ist die Schwanzspitze verknöchert und ermöglicht es den Tieren, sich bei Gefahr schnell rückwärts in den Sandboden zu „schlängeln“.
Schlangenaale ernähren sich räuberisch, meist von Krebsen und Fischen, die sie mithilfe ihres empfindlichen Geruchssinns aufspüren. Sie können, je nach Art, Längen zwischen elf Zentimetern und 1,7 Metern erreichen. Autor: Helmut Göthel