Im ersten Teil (DATZ 1/2012) ging es um Farben als inner- und zwischenartliche Signale bei Fischen. Zeichnungsmuster und Farbkleider können aber auch der Tarnung dienen, selbst wenn sie noch so kontrastreich und bunt sind. | Von Saskia GöthelAuf Abbildungen oder in Aquarien erscheinen uns viele Korallenfische geradezu unverschämt auffällig und bunt. Doch begegnen wir denselben Fischen im Meer, stellen wir erstaunt fest, dass nicht wenige von ihnen in ihrer natürlichen Umgebung dank ihrer Farbenpracht gut getarnt sind. Manchmal sind nur bestimmte Körperteile getarnt, in anderen Fällen der ganze Fisch, was nicht zuletzt mit der schrittweisen Absorption des Lichtspektrums unter Wasser zusammenhängt.



Das langwellige rote Licht wird schon in zehn Metern Tiefe zu 98 Prozent absorbiert, das gelbe erst in 20 Metern. Dabei ist zu beachten, dass sich die Meterangaben auf den gesamten Lichtweg beziehen. So kann man auch in sechs Metern Tiefe bei einem vier Meter entfernten Fisch seine rote Färbung nicht mehr erkennen, und eine rote Färbung direkt an der Wasseroberfläche ist aus zehn Metern Entfernung ebenfalls nicht mehr wahrnehmbar.

„Ein Tier in größerer Tiefe tarnt sich am besten mit roter Farbe, denn Rot fällt am wenigsten auf“ (Fricke 1976). Mit diesen Worten beschreibt Hans W. Fricke genau dieses Mittel der Tarnung. Viele Korallenfische, die bestrebt sind, sich zu tarnen, benutzen dazu die wärmeren Farben Rot und Gelb, reflektieren somit nur wenig von der gefilterten Lichtstrahlung und erscheinen dadurch unauffällig dunkel.

Für diese wie für die meisten anderen Formen von Tarnung ist die jeweilige Umgebung von entscheidender Bedeutung. Außerdem ist zu bedenken, „[…] dass die Augen der Meeresfauna an den besonderen Lichtbrechungsindex des Wassers angepasst sein müssen […]“ (Grüter 1990) und dass Korallenfische ihre Umgebung optisch gewiss anders wahrnehmen, als wir es tun.

Somatolyse
Unter Somatolyse versteht man das optische Verschmelzen eines Tieres mit seiner Umgebung durch Streifung, Fleckung oder Gegenschattierung. Die oft sehr bunten Tiere erscheinen uns außerhalb ihres Lebensraumes häufig extrem auffällig.

Ein Beispiel für Somatolyse ist der Wimpelfisch Heniochus intermedius. Er lebt im Roten Meer und im westlichen Indopazifik, gehört zur Familie der Falterfische und ist in großen Schwärmen anzutreffen. Er besitzt zwei schwarze Diagonalstreifen auf hellem Grund und eine lang ausgezogene Rückenflosse. Als Einzeltiere fallen diese Fische fast sofort ins Auge, aber im Schwarm im freien Wasser wird ihre Gestalt durch ihre eigentümliche Zeichnung nahezu vollkommen aufgelöst. Und auch als Gruppe vor einem Felsen wirken Wimpelfische aus der Entfernung eher wie eine Koralle oder eine andere Form von Bewuchs.

Auch bei einigen Zackenbarschen findet man Somatolyse, etwa beim Juwelen-Zackenbarsch (Cephalopholis miniata), dessen gesamter Körper mit hellblauen Punkten übersät ist. Anzutreffen ist diese Art vom Flachwasser bis in größere Tiefen. Der Juwelen-Zackenbarsch hält sich bevorzugt unter Überhängen und in Höhlen auf, wo nur wenig Licht hingelangt. Seine auf Blitzaufnahmen kräftig rote Grundfärbung wirkt hier bräunlich, und die Punktzeichnung löst seine Körperumrisse auf, sodass der Fisch in seiner dämmrigen Umgebung kaum mehr zu erkennen ist.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Pfauen-Zackenbarsch (Cephalopholis argus), der allerdings seine blauen Punkte „von vornherein“ auf braunem Körper trägt. Und auch der Summana (Epineophelus summana) und der Braunflecken-Zackenbarsch (E. tauvina) – der erste dunkelbraun mit großen weißen Flecken, der zweite hell mit braunen Punkten – verschmelzen mit ihrer felsigen, algenbewachsenen Umgebung.

Mimese
Von Mimese spricht man, wenn ein Tier durch Färbung, Gestalt oder Körperhaltung Strukturen seines Lebensraums nachahmt. Zahlreiche Rifffische bedienen sich solcher Tarntrachten. Doch hierdurch sind sie nur in ­ihrem ureigenen Lebensraum effektiv getarnt; in fremder Umgebung hingegen wirken sie besonders auffällig.
Äußerst skurril wirken die Geisterpfeifenfische der Gattung Solenostomus. An ihrem ganzen Körper tragen sie zahlreiche stachelige oder fadenförmige Fortsätze. Zudem können sie ihr Farbkleid zwischen Schwarz, Braun, Rot, Sandfarben und Grün variieren. Sie halten sich schwebend neben Seegrasblättern, Algenbüscheln, Hornkorallen oder Haarsternen auf und sind dort kaum auszu­machen.

Auch der hochgiftige Steinfisch (Synanceia verrucosa) aus der Familie der Skorpionsfische ist hervorragend getarnt. Er ist sehr träge und hält sich ausschließlich auf dem Boden auf. Mit seiner ungemein runzeligen Haut sieht er wirklich wie ein mit tierischem und pflanzlichem Aufwuchs besiedelter Stein aus. So kann er unbemerkt, tagelang und nahezu unbeweglich ­seiner Beute auflauern: Fischen und Krebsen bis fast zur eigenen Körpergröße. Zugleich ist er gut geschützt vor Fressfeinden, denen Steinfischgift nichts ausmacht.

Ein weiteres Paradebeispiel für Mimese ist das winzige, nur maximal zwei Zentimeter große Zwerg-Seepferdchen (Hippocampus bargibanti) aus dem westpazifischen Korallenmeer. Es ist mit warzenartigen Auswüchsen übersät und lebt an Hornkorallen mit ebenso geformten und gefärbten Polypen.

Sich durch andere Fische tarnen
Auf ganz andere Art und Weise macht sich der Trompetenfisch Aulostomus chinensis unauffällig. Dieser vergleichsweise schlechte Schwimmer ernährt sich von kleinen Fischen und Krebsen. Um leichter an sie heranzukommen, sucht er gelegentlich einen Fischschwarm auf, wobei er stets Fische mit einem Beutespektrum wählt, das von seinem eigenen abweicht; vor ihnen brauchen seine potenziellen Opfer also nicht zu fliehen. Ist der Trompetenfisch nah genug an seiner Beute, schießt er aus dem Schwarm hervor und saugt sein Opfer blitzschnell in sein Röhrenmaul ein.

Trompetenfische verfügen sogar über eine Variante dieser Strategie. Manchmal suchen sie sich einen großen, einzelnen Fisch zum Mitschwimmen, beispielsweise einen Papageifisch oder einen Zackenbarsch, auf jeden Fall aber wieder einen mit anderem Beutespektrum als dem eigenen. Der Trompetenfisch schwimmt dann in der Regel unmittelbar über dem Rücken seines unfreiwilligen Partners, als wäre er ein Teil von ihm. Meist versucht der Große zunächst, sein Anhängsel abzuschütteln, was ihm aber selten gelingt. Nach kurzer Zeit arrangieren sich die beiden, und dann jagt der Trompetenfisch erneut aus der Deckung heraus.

Verbergen der Augen
„Augenflecken“ finden wir überall in der Körperzeichnung von Tieren. Sie treten im Federrad eines Pfaues auf, auf den Rückenschildern von Schildkröten, auf den Flügeln von Schmetterlingen und besonders häufig am Körper vieler Süßwasser- und Meeresfische. Wie Recht Fricke (1976) damit hat, zeigt sich insbesondere bei den Fischen der Korallenriffe. So besitzen etwa viele Falterfische (Chaetodontidae) einen Augenfleck auf der Schwanz- oder Rückenflosse oder auf dem Rumpfende und häufig zusätzlich einen breiten, dunklen Streifen, der über das Auge verläuft. Die Funktion dieser auffälligen Muster wies der Verhaltensforscher Wolfgang Wickler durch Experimente eindeutig nach (Eibl-Eibesfeldt 1982).

Durch die dunkle Augenbinde wird das richtige Auge getarnt, während der Augenfleck umso auffälliger ist. Fast alle Raubfische orientieren sich am Auge ihrer Beute, um abzuwägen, in welche Richtung sie fliehen könnte. Da der Augenfleck viel stärker als das getarnte Auge in Erscheinung tritt, zeigt sich der Angreifer über die Fluchtrichtung seiner ersehnten Beute nicht selten getäuscht, was deren Chancen zu entkommen beträchtlich erhöht.

Tarnfärbung im Schwarm
Manche schwarmbildende Korallenfische erscheinen dem Betrachter sehr auffällig, wenn er sie einzeln antrifft. Beobachtet er sie dann jedoch im Schwarm, ist er verblüfft, wie konturenauflösend und irritierend nun plötzlich die markanten Längs- oder Querstreifen wirken: Das einzelne Individuum verschwindet in der bunten Masse! Für einen Raubfisch ist es dann sehr schwer, ein Opfer ins Visier zu nehmen.

Dieser Tarnstrategie bedienen sich, um nur drei Beispiele zu nennen, der Schwarm-Wimpelfisch (Heniochus diphreutes), der Halsband-Falterfisch (Chaetodon collare) und der Blaustreifen-Schnapper (Lutjanus kasmira).

Nachtfärbung
Sobald die Abenddämmerung hereinbricht, ziehen sich viele der tagaktiven Rifffische zum Schlafen zurück und färben sich – teilweise oder vollständig – um. Viele Arten sind nachts rötlicher und dunkler und somit für optisch orientierte Räuber schwieriger zu entdecken. Kaninchenfische (Siganidae) besitzen giftige Rückenstacheln, die sie, wenn sie schlafen, weit abspreizen. Zudem bekommen sie ein bräunliches Fleckenmuster, das gestaltauflösend wirkt.

Anders der Sparren-Falterfisch (Chaetodon trifascialis): Er ist tagsüber grün weißlich gefärbt mit dünnen, schwarzen Querstreifen, schwarzer Schwanzflosse und Augenbinde. Setzt die Abenddämmerung ein, färbt sich seine obere Körperhälfte schwarz, und es erscheinen auf ihr zwei helle Augenflecke, die vermutlich einen viel größeren Fisch vortäuschen sollen. Zudem könnte diese Zeichnung auch der besseren Arterkennung in der Dämmerung dienen. Sobald es aber Nacht ist, verschwinden die Augenflecke. Der Sparren-Falterfisch legt sich also kein Nachtkleid, sondern ein Dämmerungskleid an.

Fazit
Die Beispiele zeigen, dass die Farbenpracht der Korallenfische nicht nur einen, sondern viele Gründe hat. Bunte Farbmuster können in Wahrheit tarnen, aber auch Warnfunktion haben, der innerartlichen Kommunikation dienen, Beute anlocken oder Feinde abschrecken. Den Korallenfischen hilft ihre Farbenpracht zu überleben.
Und uns Aquarianern und Naturinteressierten macht sie das Leben schöner.

Literatur
Eibl-Eibesfeldt, I. (1982): Die Malediven – Paradies im Indischen Ozean. – R. Piper & Co Verlag, München.
Fricke, H. W. (1976): Bericht aus dem Riff. – Deutscher Taschenbuch-Verlag, München.
Grüter, W. (1990): Leben im Meer. – Ott-Verlag, Thun.