Wohl erstmals weltweit gelangen im berühmten Stuttgarter Aquarium die Vermehrung und die Aufzucht von Schützenfischen. | Von Isabel Koch und Alexander Mendoza-Weber

Die Familie der Schützenfische (Toxotidae) gehört in die Ordnung der Barschartigen (Perciformes) und besteht aus nur einer ­Gattung mit sechs Arten. Das Ver­breitungsgebiet der Familie reicht von Indien über die Philippinen bis nach Australien und Polynesien. Die Fische sind sowohl im Süß- als auch im Brack- und Meerwasser zu Hause. Ihren Namen verdanken die Tiere der Fähigkeit, Nahrung, etwa Insekten, nicht nur unter Wasser und an der Wasseroberfläche aufzunehmen, sondern sie auch mit einem bis zu eineinhalb Meter weit gespuckten Wasserstrahl von Pflanzen in der Uferzone „abzuschießen“ und so in die Reichweite ihres großen Mauls zu holen.



Im Aquarium der Wilhelma werden seit 1954 Schützenfische gehalten, meist Toxotes jaculatrix (Pallas, 1767). In den ersten Jahrzehnten waren die Tiere ausgesprochen heikel und hatten in menschlicher Obhut eine Lebenserwartung, die selten über einem Jahr lag. Die Gründe dafür sind kaum mehr nachzuvollziehen, denn heute lebt ein Schützenfisch im Aquarium ohne weiteres acht Jahre und länger.

Anfangs hielten wir unsere Schützenfische in Brackwasser, später nur noch in reinem Süßwasser, da der Salzgehalt des Wassers für die adulten Tiere offenbar keine Rolle spielt, die Pflanzendekoration im Brackwasser aber stark leidet.

Die Nachzucht war in all den Jahren kein Thema, denn gelegentlich zu findende Reste von Laich sahen nie so aus, als ob daraus etwas hätte werden können. Im Gegensatz zur Laichzeit in freier Wildbahn (November bis Dezember in Malaysia; Simon et al. 2011) scheint es im Aquarium aber keine strikte Beschränkung auf den Winter als Fortpflanzungsperiode zu geben.

Beim „Wann“ und „Warum“ gibt es noch jede Menge Klärungsbedarf, aber zum „Wie“ können wir jetzt ein Mosaiksteinchen liefern, denn am 15. Mai 2011 kamen bei uns ein paar glückliche Umstände zusammen: Die Toxotes laichten spät nachmittags ab, der Laich wurde zum Dienstende in noch gutem Zustand entdeckt und geborgen, die Mannschaft im Aquarium war komplett und somit in der Lage, einem solchen Ereignis die erforderliche zusätzliche Zeit und Sorgfalt zu widmen: Anne Gerlach und Alexander Mendoza-Weber übernahmen die Aufzucht der kleinen Toxotes vom Ei zum Fisch mit viel Eifer.

Über Nacht blieb der Laich erst einmal in einem sacht belüfteten Gefäß. Am nächsten Morgen waren die Larven bereits geschlüpft – die Phase des Experimentierens begann. Die spärlich vorhandenen Informationen aus der Freilandforschung besagten, dass Schützenfische zwar im Meer- oder Brackwasser laichen, die Jungen aber im Süß- oder Brackwasser an­getroffen werden. Nachzuchtberichte aus Europa, auf die man hätte zurückgreifen können, gab es nicht. Was also tun?

In einem solchen Fall empfiehlt es sich, vorsichtshalber einfach beides anzubieten. So wurde ein kleinerer Teil der Larven im Süßwasser gelassen, der größere hingegen in Brackwasser überführt, bestehend aus einem Drittel Meer- und zwei Dritteln Süßwasser. Das Ergebnis: Die Larven im Süßwasser waren am nächsten Morgen verendet, diejenigen im Brack­wasser hingegen noch fit.

Die schwarzen Larven waren winzig, nur drei bis vier Millimeter lang – und sie schwammen frei! Wir fügten dem Brackwasser ein „Schlückchen“ Phytoplankton zu – die grüne Suppe machte das Wasser schummrig, und das wirkte auf die Kleinen beruhigend. Sie fühlten sich nicht mehr beobachtet, wir konnten sie aber gut sehen.

Vier Tage lang ernährten sie sich noch von ihrem Dottervorrat. Danach waren Copepoden für die nächsten vier Wochen das Futter der Wahl. Für Artemia-Nauplien waren die Larven zu klein, und da das Mäulchen in diesem Stadium noch endständig war, nahmen sie auch kein Futter von der Wasseroberfläche.

Da wir nicht wussten, wie extrem die kleinen Schützenfische auf Wasserwechsel reagieren, ergänzten wir nur das verdunstete durch entmineralisiertes Wasser (etwa einen halben Liter pro Woche). Trotz extremer Vorsicht bei der Behandlung starben in den ersten zwei Wochen über 80 Prozent der Brut.

Die Larven blieben als Schwärmchen dicht beieinander. Sie hatten ­einen hellen Fleck auf der Kopfoberseite, den sie offensichtlich nach Belieben auftauchen und wieder verschwinden lassen können. Vermutlich dient er dem Zusammenhalt im trüben Wasser und/oder als Stimmungsanzeiger.

Nach sechs Wochen besaßen wir noch sieben Junge. Aber diese „glorreichen Sieben“ fraßen, wuchsen und sahen gut aus. Mit einem Alter von drei bis vier Wochen orientierten sie sich langsam in Richtung Wasseroberfläche. In den folgenden zwei bis drei Wochen veränderte sich die Kopfform, das Maul wurde größer und oberständig. Die Farbe wechselte von Schwarz nach Silbrig, und Schatten der ersten Streifen wurden sichtbar. Phytoplankton reichte als Deckung nicht mehr aus – die Fischchen bekamen künstliche Pflanzen als Unterstand.

Gefüttert wurde mittlerweile mit frisch geschlüpften, angereicherten  (etwa mit „Super Selco“) Artemia-Naup­lien und winzig kleinen Wasserflöhen. Als die Nachzucht-Schützen­fische drei Monate alt waren, boten wir ihnen erstmals Drosophila an, auf dem Wasser treibend. Anfangs hatten sie Angst vor diesem krabbelnden Futter. Den Kleinsten der Sieben verloren wir noch in diesem Stadium.

Die übrigen lernten bald, was es heißt, ein Oberflächenfisch zu sein. Sie fraßen nun willig Drosophila und mit fünf Monaten auch Mikro-Heimchen von der Wasseroberfläche. Ihrer Färbung nach waren sie jetzt schon richtige, silbrige Schützenfische mit schwarzen Streifen.
Aber erst im Alter von gut sechs Monaten und mit einer Länge von nunmehr gut drei Zentimetern sahen wir sie das erste Mal „schießen“: einen winzigen Wasserstrahl, knapp zwei Zentimeter weit gegen die Glasscheibe gepustet und natürlich noch meilenweit vom Heimchen entfernt. Die kleinen Schützen zeigten sich in dieser Hinsicht auch nicht übermäßig engagiert – vermutlich war es einfach bequemer, das Futter von der Wasseroberfläche zu naschen.

Abschließend lässt sich sagen: Hat man einmal befruchteten Laich und überführt ihn rechtzeitig in Brack­wasser, so ist die Aufzucht von Schützenfischen grundsätzlich möglich. Wir freuen uns, dass sie uns wohl als ­Ersten in Europa gelang. Noch mehr freuen würden wir uns aber, wenn sie weiteren Haltern mithilfe dieser Informationen ebenfalls glücke.

Literatur
Simon, K. D., Y. Bakar, A. G. Mazlan, C. C. Zaidi, A. Samat, A. Arshad, S. E. Temple & N. J. Brown-Peterson (2012): Aspects of the reproductive biology of two archer fishes Toxotes chatareus, (Hamilton 1822) and Toxotes jaculatrix (Pallas 1767). – Environmental Biology of Fishes 93 (4): 491–503