500 Jahre alte Tiefseeaustern, die mächtige Paromola-Trägerkrabbe und fragile Korallen in 500 Metern Wassertiefe – damit hatten die Wissenschaftler um André Freiwald, Leiter der Abteilung Meeresforschung am Frankfurter Senckenberg-Museum, nicht gerechnet, als sie zu ihrer Expedition aufbrachen.

Mit dem Forschungsschiff „Maria S. Merian“ wollten sie die Korallenmauer erkunden, die 50 bis 60 Meter hoch und 190 Kilometer lang ist. Unerwartet fanden die Forscher aber das erste Kaltwasserkorallenriff mit lebenden Tieren vor der Küste Mauretaniens.
Als der schwedische Roboterpilot Tomas Lundälv den mit einer Kamera bestückten Tauchroboter in 615 Metern Tiefe am Meeresboden aufsetzte, entdeckten sie ein blühendes KorallenÖkosystem.

Freiwald berichtet von kräftig verkalkten Lophelia-Korallen mit orangeroten Polypen, Gorgonienfächern, imposanten Oktokorallen und großen Feilenmuscheln, wie man sie sonst in norwegischen Riffsystemen findet. Überhaupt seien solche eindrucksvollen Ökosysteme aus nördlich gelegenen Regionen rund um Skandinavien und der Irischen See bekannt. Die Kaltwasserkorallen leben bei 13 °C in den dunklen und nährstoffreichen Tiefseeregionen unterhalb von 200 Metern. Bisher hatten Wissenschaftler nur fossile Kaltwasserkorallenstrukturen vor Gibraltar und Marokko gefunden.

Das lebende Ökosystem hier war völliges Neuland für Freiwald und Kollegen.

In 500 Metern Tiefe sahen sie in einer bizarren Felslandschaft weitere Lophelia-Kolonien, die deutlich fragiler verkalkt waren. Zugleich nahm die Vielfalt an Schwämmen und großen Krebsen zu. So fand das Team die mächtige Trägerkrabbe Paromola cuvieri und die nie zuvor so weit südlich gesichtete Tiefseeauster Neopycnodonte, die dichte Bestände bildet und über 500 Jahre alt werden kann.
Die Entdeckung des Kaltwasserökosystems mit lebenden Korallen kam für die Wissenschaftler überraschend, aber eine Erklärung sehen sie trotzdem: „Die ablandigen Winde drücken hier das Oberflächenwasser von der mauretanischen Steilküste weg auf den offenen Ozean und ermöglichen so das Nachströmen von kaltem und nährstoffreichem Wasser aus der Tiefe“, mutmaßt Freiwald. Das führe offenbar nicht nur dazu, dass die mauretanischen Gewässer zu den fischreichsten überhaupt gehören, sondern versorge vermutlich auch die an kühle Temperaturen angepassten Blumentiere mit dem passenden Futter. Nach Aussage des Korallenexperten ernähren sich diese Meerestiere von den aus den Planktonorganismen gelösten Nährstoffen.

Oliver Mengedoht