Aquaristisch interessante Exkursionen müssen nicht immer in die Tropen führen, auch bei uns lässt sich Spannendes entdecken. In der Umgebung von Berlin beispielsweise leben ­eigentümliche urzeitliche Krebse. | VON FLORIAN LAHRMANN

Im ersten Teil des Artikels (DATZ 3/2013) ging es um zwei Feenkrebsarten. Hier wird ein weiterer Vertreter unserer einheimischen Großbranchipoden vorgestellt.

Der Schildkrebs
Triops cancriformis BOSC, 1801, auch Kaulquappenkrebs genannt, hat die Bezeichnung „lebendes Fossil“ wahrlich verdient. Er gilt als älteste bekannte rezente, also heute noch existierende Tierart der Welt! Es gibt 220 Millionen Jahre alte Fossilien von diesen Tieren, die sich nicht wesentlich von den heute lebenden Schildkrebsen unterscheiden. Zum Vergleich: Die Dinosaurier traten erst vor rund 150 Millionen Jahren auf.
Auch mit einem anderen Superlativ kann dieser Krebs aufwarten: Seine Zysten gelten als die widerstandsfähigsten „Eier“ im ganzen Tierreich, da sie selbst nach jahrelangem Trockenliegen, extremer Hitze oder Kälte nicht ihre Schlupffähigkeit verlieren. Auch bei den Schildkrebsen ist das eine ­perfekte Anpassung für ein Leben in nur kurze Zeit bestehenden, konkurrenzarmen Kleingewässern.
Ihr Lebenszyklus ist dem von B. schaefferi recht ähnlich, beide Arten kommen häufig zusammen vor. Wie die Sommerfeenkrebse finden sich die Schildkrebse nur im Sommer, in der Regel ab Juni bis August, in warmen Jahren auch schon im April und bis in den Oktober oder November hinein.
Ihre Nauplien entwickeln sich ebenfalls rasant. Schon drei Wochen nach dem Schlupf sind sie fortpflanzungsfähig, ihre natürliche Lebens­-zeit beträgt vier bis maximal sechs Wochen. Interessant ist ferner, dass es von dieser Art in der Natur fast nur Weibchen gibt, die sich parthenogenetisch (durch „Jungfernzeugung“) fortpflanzen, Männchen sind selten.
Schildkrebse gehören zur Ordnung Notostraca, die sich von den Anostraca in der äußeren Gestalt durch ein rundes, den ganzen Körper bedeckendes Rückenschild unterscheiden, auf das sich auch der deutsche Name bezieht. Unter diesem Panzer schauen nur das Abdomen, also der „Schwanz“ mit seinen zwei verlängerten Anhängen, sowie die Beine hervor.
Der Gattungsname leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet „der Dreiäugige“; er spielt auf das dicht neben den beiden Komplexaugen auf der Panzeroberseite sitzende, wie ein drittes Auge aussehende Dorsalorgan an.
Schildkrebse sollen bis zu elf Zentimeter lang werden. Bei meinen gefangenen oder aufgezogenen Exem­plaren war der Durchmesser des Rückenpanzers nie größer als ein Zwei-Euro-Stück, eher deutlich kleiner.
In ihrer ganzen Erscheinung wirken Triops sehr urtümlich und erinnern an die marinen Pfeilschwanzkrebse, ebenfalls lebende Fossilien, doch als Spinnentiere nicht näher mit den Urzeitkrebsen verwandt.
In Deutschland und Österreich gibt es nur eine weitere Spezies der Ordnung Notostraca: den Schuppenschwanz (Lepidurus apus LEACH, 1819). Jene Art ist jedoch im Unterschied zum Schildkrebs auf das Frühjahr beschränkt und soll laut ENGELMANN & HAHN zu 90 Prozent zusammen mit E. grubii vorkommen; ich entdeckte sie bisher nicht.
An den Fundorten von Triops gibt es sehr häufig B. schaefferi. BARON & SCHULZ schreiben sogar, B. schaefferi komme in allen Triops-Habitaten vor, für das Jahr 2006 nennen sie zwölf Stellen in der Döberitzer Heide.
Mir sind dort mindestens zwei Fundplätze bekannt, von denen einer aus einer ganzen Reihe einzelner Pfützen auf einem Waldweg besteht. In diesen Pfützen kamen teils nur Triops vor, teils Triops und Branchipus.
Jedenfalls ist T. cancrifomis eine sehr seltene Art. Bis 2004 war sie streng geschützt, mittlerweile gilt dieser Schutz aber nicht mehr. Dennoch ist die Spezies stark gefährdet, und es sind nur wenige Populationen bekannt, auch bei dieser Art fast ausnahmslos auf (ehemaligen) Trup­pen­übungs­plätzen. Ich fand die Tiere ausschließlich innerhalb der Döberitzer ­Heide (für diese Art besitze ich ebenfalls eine behördliche Sammelgenehmigung).
Ein weiteres Vorkommen – laut ­einer Broschüre der Stadt Hildesheim das mittlerweile einzige in Niedersachsen – ist mir im Naturerlebnisgebiet „Osterberg“ bekannt, einem ehemaligen Truppenübungsplatz zwischen Hildesheim und Emmerke (dem Dorf, in dem ich aufwuchs). Sonst ­liegen die Verbreitungsschwerpunkte außer in Brandenburg (hier vor allem in der Döberitzer Heide) in Süddeutschland und Ostösterreich.
Wegen ihrer Seltenheit sollten die Tiere nicht in der Natur gesammelt werden. Wer sich einmal mit der faszinierenden Aufzucht dieser Relikte befassen möchte, findet im Spielwarenhandel für zehn bis 20 Euro erhält­liche Triops-Sets (etwa von Kosmos). Sie enthalten Ansätze außereuropäischer, nicht bedrohter Triops-Arten, die sich kaum von T. cancriformis unterscheiden. Selbstverständlich müssen diese fremden Formen aber im Haus bleiben und dürfen keinesfalls irgendwo ausgewildert werden!
Wegen ihres Lebensrhythmus sind Triops ideale „Heimtiere“ und Forschungsobjekte, auch für (noch kleinere) Kinder, weil sie einfach zu er­füllende Ansprüche haben, spannende Beobachtungsmöglichkeiten bieten, mit ihrer Skurrilität Aufmerksamkeit wecken – und sich bei erlahmendem Interesse einfach für einige Monate oder Jahre ohne Pflegeaufwand lagern lassen. In einem kleinen Aquarium mit Kies- oder Lehmboden, aufgegossen mit Regen-, Osmose- oder destilliertem Wasser, fühlen sie sich wohl und lassen sich gut erforschen.
Triops sind Allesfresser und lassen sich mit üblichem Fischfutter aufziehen. Verabreicht man – insbesondere bei einer kleinen Wassermenge und nur wenigen, winzigen Tierchen – jedoch zu viel davon, wird das Wasser schnell belastet, was zum vorzeitigen Tod der Tiere führt. Als Nahrungs­quelle genügt in einem Becken mit ­natürlichem Lehmboden ein „Heizball“ (früher auch „Glühbirne“ genannt), der genug Algen und Plank­-ton gedeihen lässt, damit die Schildkrebschen wachsen. Es reicht völlig aus, erst dann etwas hinzu zu füttern, wenn die Tiere zwei Wochen alt sind.
Wer auch die Nauplien schon ernähren möchte, der nehme dafür aber nicht das den Triops-Sets beiliegende „spezielle Triops-Futter“ (gewöhn­liches Fischfutter in Granulatform), sondern besser Artemia-Aufzuchtfutter, etwa von Selco.
In der Natur wühlen Schildkrebse mithilfe der Vorderkante ihres Rückenpanzers im Bodenschlamm nach Nahrung. Neben Plankton sollen auch größere Tierchen wie Mückenlarven, ­Würmer oder sogar – geschwächte – Kaulquappen erbeutet werden. Auch frisch gehäutete Artgenossen werden manchmal verputzt. Ich konnte außerdem beobachten, dass meine Triops mit ihnen vergesellschaftete B. schaefferi fraßen.
Triops vermehren sich auch ohne Trockenphase, mit Diapause ist die Ausbeute an Nachwuchs jedoch wesentlich größer. Eine Aquarienpopulation ohne Trocknung bleibt nicht dauerhaft erhalten.

Dank
Gerd Noak nahm mich zum ersten Mal mit in die Döberitzer Heide und zeigte mir einige Fundorte.
Christine Zielicke, Ole Arnold Schneider, Mathias Kloster, Knut Bieler und Oliver Zompro begleiteten mich auf meinen Exkur­sionen und halfen mir auf unterschiedlichste ­Weise bei der Erstellung dieses Artikels. Sebastian Sczepanski gab mir Fundorttipps.
Jörg Fürstenow (Heinz Sielmann Stiftung) und das Brandenburgische Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucher-schutz unterstützten mein Projekt.
Ihnen allen danke ich herzlich!

Artemia
Salzwasserfeenkrebse kennt wohl jeder Aquarianer. In ihrem Dauerstadium als „Artemia-Eier“ in Dosen verkauft, bieten sie Hobby- und gewerblichen Fischzüchtern seit Jahrzehnten ein wich­tiges, einfach zu kultivierendes, nicht mehr wegzudenkendes, lebendes Jungfischfutter.
Auch diese Salzwasserformen bewohnen in der Natur in erster Linie fischfreie Lebensräume wie Salzseen. In Deutschland gab es einst einen Salzwasser-Feenkrebs (Artemia salina), doch gilt die Art heute als ausgestorben. Bei den im Handel erhältlichen Tieren dürften wir es meistens wohl mit Artemia franciscana aus den USA zu tun haben.
Beliebt sind auch einfache Aufzucht-Sets mit Urzeitkrebsen für Kinder, die man etwa im Spielwarenhandel findet. Wer kennt noch die Zeitschrift „Yps mit Gimmick“? Dort gab es mehrmals solche Komplett-Sets für „Urzeitkrebse“ und amerikanische Schildkrebse einmal als Beilage der „Micky Maus“. Im Internet findet sich mittlerweile sogar eine richtige Urzeitkrebs-Fan-Gemeinde.


Interview
Jörg Fürstenow ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der „Sielmann-Stiftung Naturlandschaft Döberitzer Heide“.
Florian Lahrmann: Herr Fürstenow, Sie sind in der Döberitzer Heide für die Branchiopoden zuständig, für einen Aquarianer ist das so etwas wie ein Traumjob. Wie wird man „Wildhüter für Urzeitkrebse“?
Jörg Fürstenow: Die Urzeitkrebse sind sogenannte Zielarten, also solche, die wir unbedingt fördern wollen. Darunter fallen aber auch noch eine ganze Reihe weiterer Tierarten, für die ich zuständig bin, außerdem etliche seltene Pflanzen.
F. L.: Wie sind Sie zu Ihrer jetzigen ­Tätigkeit gekommen? Was für einen beruflichen Werdegang haben Sie?
J. F.: Eigentlich bin ich Informatiker, aber ich war sozusagen schon hier, als die Sielmann-Stiftung auf den Plan trat, und dann habe ich mich beworben.
F. L.: Sie waren schon hier?
J. F.: Ich kenne das Gebiet seit 1989, also seit über 20 Jahren.
F. L.: Waren Sie damals privat hier unterwegs?
J. F.: Ja, ich bin aber vor 2004 auch schon bei einer anderen Firma angestellt gewesen, seit 2004 dann bei der Heinz-Sielmann-Stiftung.
F. L.: Wie sieht Ihr normaler Arbeits­alltag aus?
J. F.: In den vergangenen beiden Jahren war ich vornehmlich mit Förder­projekten beschäftigt, vor allem mit Landschaftspflegeprojekten.
F. L.: Also viel Bürokram?
J. F.: Gewiss, sehr viel Bürokram, Anträge ausfüllen, begleiten …
F. L.: Aber Sie sind auch regelmäßig in der Heide?
J. F.: Ich bin so häufig wie möglich ­draußen unterwegs, natürlich viel nach Feierabend, dann und wann aber auch während der Arbeitszeit.
F. L.: Dies ist ein ehemaliges militärisches Übungsgelände, und die Pfützen, in denen die Urzeitkrebse vorkommen, sind alte Panzerfahrspuren. Die Panzer sind ja nun weg. Ist zu befürchten, dass sich das negativ auf die Popula­tionen auswirkt?
J. F.: Das ist nicht nur zu befürchten, das ist leider schon so. Die ehemaligen Panzerfahrstraßen sind nicht mehr in Betrieb. Allein durch Traktoren und sonstige Fahrzeuge werden zwar vorhandene Pfützen noch etwas erhalten, es entstehen aber keine neuen, tiefen Fahrrinnen, die sich mit Wasser füllen können. Die alten Rinnen halten sich zwar Jahrzehnte, verschwinden aber auch nach und nach, indem sie verlanden, zuwachsen oder eutrophieren. Die Branchipus-Fundorte sind dadurch wesentlich weniger geworden.
F. L.: Gibt es Überlegungen, dagegenzusteuern und womöglich mit einem alten Panzer durch die Gegend zu fahren?
J. F.: Als Naturschutzorganisation verfügen wir natürlich nicht über alte Panzer, das würde in der Öffentlichkeit vielleicht auch einen etwas merkwür­digen Eindruck hinterlassen. Außerdem wäre das viel zu teuer. Wir versuchen, so gut es eben geht, mit den vorhan­denen Fahrzeugen die Spurrillen zu erhalten.
F. L.: In dem Freigehege züchtet die Stiftung Wisente, Przewalski-Pferde und Rothirsche. Haben Sie schon Tiere ausgewildert?
J. F.: Ungefähr 70 ausgewilderte Tiere leben bereits in der 2.000 Hektar großen Wildniskernzone. Das Gebiet ist umzäunt, aber wenn Sie an die Zone herangehen, können Sie die Pferde und die Wisente auf den Freiflächen laufen sehen.
F. L.: Besitzen Sie eigentlich irgendwelche Haustiere?
J. F.: Früher hatte ich mehrere Aqua­rien, und ich habe auch vor, wieder mit der Aquaristik anzufangen. Allerdings hat mich doch zunächst die einheimische Natur, vor allem die Flora, sehr beschäftigt.
F. L.: Welche Fische interessieren Sie besonders?
J. F.: Vor allem Salmler.
F. L.: Vielen Dank für dieses Gespräch und den gemeinsamen Ausflug!

Literatur
BARON, R., & U. SCHULZ (2006): Zum Vorkommen von Triops cancriformis (BOSC, 1801) und Bran­chipus schaefferi (FISCHER, 1834) auf dem ehe­maligen Truppenübungsplatz Döberitzer Heide (Crustacea, Branchiopoda). – Entomologische Nachrichten und Berichte 50 (3): 167–168.
ENGELMANN, M., & T. HAHN (2004): Vorkommen von Lepiduirus apus, Triops cancriformis, Eubranchipus (Siphonophanes) grubii, Tanymastix stagnalis und Branchipus schaefferi in Deutschland und Österreich (Crustacea: Notostarca und Anostarca). – Faunistische Abhandlungen Dresden: http//www.snsd.de/publikationen/Faun_Abh/Faun_Abh_%2025_2004_3-67.pdf.
HÖDL, W. (1994): Floßfüßige Seewürmer. Seltene Urzeitkrebse an der March. – D. Aqu. u. Terr. Z. (DATZ) 47 (4): 244–249.
SCHAEFER, M. (2010): Brohmer. Fauna von Deutschland. 23. Auflage. – Quelle & Meyer, Heidelberg.
SCHLÖGL, T. (1996): Die postembryonale Entwicklung der Männchen des Feenkrebses Branchipus schaefferi. – www.landesmuseum.at/pdf_frei_remote/STAPFIA_0042_0137-0148.pdf.
SOMMER, W. (1981): Ein Kleinkrebs, der unter Naturschutz steht: Der Kiemenfußkrebs Siphonpha-
nes grubii. – Aquarien-Magazin 15 (8): 518–522.

Empfehlenswerte Internetseiten
www.nabu-koenig.de/krebse/branchiopoden.html.
www.sielmann-stiftung.de/de/projekte/sielmanns_naturlandschaften/doeberitzer_heide/index.php.
www.urzeitkrebse.de.