Aufgetaucht
Atyaephyra desmaresti
Eigentlich ist Atyaephyra desmaresti eine alte Bekannte, die bereits 1831 von Millet beschrieben wurde. Aufgrund von Gewässerverbauungen und der ungewollten Ausbreitung über Ballastwasser in der Schifffahrt gilt sie mittlerweile als Neozoon, das ursprünglich aus dem westlichen Mittelmeergebiet stammt und heutzutage auch in Mitteleuropa vorkommt. In Deutschland wurde die Europäische Süßwassergarnele erstmals 1932 am Niederrhein entdeckt und verbreitete sich von hier aus weiter. Die Taxonomie dieser Süßwassergarnelen bereitete Systematikern in der Vergangenheit Kopfzerbrechen, ehe es möglich wurde, sie mittels DNA-Analysen eindeutig zuzuordnen. Im Handel ist sie eher schwierig zu erhalten.
Mit knapp 3,5 cm werden die Weibchen etwas größer als die Männchen. Durch ihre eher helle bis transparente Körperfärbung erscheint sie im Gegensatz zu anderen, beliebten Zwerggarnelen asiatischen Ursprungs etwas unspektakulär. Mit zunehmendem Alter färben sich die Tiere aber durchaus um und können braune, blaue, aber auch grüne oder rosafarbene Töne annehmen. Hin und wieder sind sie gesprenkelt. Im Schnitt erreicht A. desmaresti ein Alter von ungefähr 1,5 Jahren und vermehrt sich zwischen Frühling und Spätsommer. Dabei trägt das Weibchen über rund 5 Wochen bis zu 1.500 sehr kleine Eier, aus denen Larven schlüpfen, die mehrere Stadien durchlaufen. Diese erreichen ihre Geschlechtsreife erst im folgenden Frühjahr.
Europäische Süßwassergarnelen bevorzugen sauerstoffreiche Gewässer. Dabei vertragen die Tiere Schwankungen im Salzgehalt, sodass sie im Süß- bis Brackwasser vorkommen. Sie leben vorwiegend versteckt zwischen Steinen sowie der verkrauteten Uferregion. Als sogenannte „Fischnährtiere“ stellen sie eine wichtige Nahrungsquelle für andere Organismen dar, bei der Pflege im Kaltwasseraquarium sollte der Beibesatz entsprechend bedächtig ausgewählt werden. In ihrem Habitat ernähren sich die Garnelen von Plankton und Schwebstoffen, aber auch organischem Material wie Laub oder den Überresten anderer Tiere. Atyaephyra desmaresti verträgt Temperaturen zwischen 4 und 25 °C.
Lou Herfurth
Neovespicula depressifrons
Die Unterordnung der Drachenkopffische (Scorpaenoidei) ist berühmt und berüchtigt. Ohne Drachenköpfe ist z. B. eine Bouillabaisse nicht denkbar, ohne Feuerfische müssten Schau-Aquarien und Meerwasser-Liebhaber auf echte Attraktionen verzichten, aber Drachenkopffische haben Giftstacheln und bei manchen von ihnen, den Eigentlichen Steinfischen (Synanceiinae), können Stiche für uns Menschen tödliche Folgen haben. Ins Süßwasser gehen Drachenkopffische gewöhnlich nicht, nur eine australische Art der Unterfamilie Tetraroginae (Notesthes robusta) ist zum reinen Süßwasserfisch geworden, einige weitere sind euryhalin, können also zwischen Süß- und Meerwasser pendeln.
In der Systematik der Drachenköpfe gab es aktuell einige Umbrüche (Smith et al. 2018). Traditionell unterschied man zahlreiche eigenständige Familien, die aufgrund der Entdeckung einer Knochenstruktur im Schädel – dem „Tränensäbel“ (englisch: lachrymal saber) – nicht länger aufrechterhalten werden, sondern in den Rang von Unterfamilien innerhalb der Familie der Steinfische (Synanceiidae) zurückgestuft wurden. Das geschah auch mit der früher eigenständigen Familie der Stirnflosser (Tetrarogidae), in der 43 Arten in aktuell 18 Gattungen zusammengefasst werden und die nun nur noch eine Unterfamilie darstellt, Tetraroginae. Sie ist gekennzeichnet durch einen zusammengedrückten Körper, Kopfstacheln, ein bewegliches Tränenbein, eine Haut an der Kiemenöffnung, die nicht breit mit dem Isthmus verbunden ist, und die unteren Brustflossenstrahlen, die nicht von anderen Brustflossenstrahlen getrennt sind (Poss 1999).
Zur Unterfamilie Tetraroginae gehört auch Neovespicula depressifrons, eine Art, die weit im indopazifischen Raum verbreitet ist. Sie erreicht eine Länge um 10 cm und lebt gewöhnlich im Meer. Aber die 2–3 cm langen Jungtiere werden oft in großer Zahl im Süßwasser der Unterläufe größerer Flüsse und im Brackwasser gefunden und gelangen so in den Zierfischhandel. Auch bei Aquarium Glaser tauchen sie gelegentlich auf. Es sind interessante und leicht zu pflegende Tiere, die jedoch kleine Fische fressen und auf Dauer nicht in Süßwasser gepflegt werden können, sondern Brack- oder Seewasser benötigen. Zur Eingewöhnung reicht man Lebendfutter aller Art, später fressen die Tiere auch Frostfutter. Beim Fang muss man gut aufpassen, dass man nicht gestochen wird. Der Stich ist gewöhnlich nicht gefährlich (außer, wenn eine Allergie besteht), aber sehr schmerzhaft.
Frank Schäfer
Brachychalcinus orbicularis (Poptella fuscata)
Diskussalmler der Gattungen Brachychalcinus, Poptella, Stethaprion und Orthospinus bilden die sogenannte Stethaprion-Clade. Gegenwärtig (2022) sind elf Arten beschrieben, weitere elf Arten bereits bekannt, aber noch nicht bearbeitet (Garcia-Ayala & Benine 2020). Sie sehen einander ziemlich ähnlich und wurden seit dem Erstimport um 1935 immer wieder verwechselt. Im Hobby hat man sich angewöhnt, alle Diskussalmler als „Brachychalcinus orbicularis“ zu bezeichnen, da Bestimmungsversuche gewöhnlich zum Scheitern verurteilt waren.
Der wesentliche Unterschied zwischen den Gattungen Poptella und Brachychalcinus liegt in einem unscheinbaren Flossenelement, dem sogenannten prädorsalen Stachel. Dieser ist bei Poptella-Arten sattelförmig gebogen, bei Brachychalcinus gerade. Das erkennt man nur mit einer guten Lupe, auf einem scharfen Foto oder an konservierten Exemplaren.
Aquarium Glaser konnte kürzlich ausgewachsene, ca. 5–7 cm Diskussalmler aus Brasilien importieren. Gewöhnlich sind Diskussalmler silbrig, ohne auffällige Farben und wirken eher durch ihre Gestalt attraktiv. Aber diese Tiere begannen zu balzen, die Männchen entwickelten lang ausgezogene Rücken- und kräftig orangerote Schwanzflossen. Sie waren so hübsch, dass ich sie fotografierte. Dabei stellte sich zu meiner Überraschung heraus, dass es sich bei diesen Tieren um die erst 2020 benannte Art Poptella fuscata handeln muss – vorausgesetzt, es ist keine der noch unbenannten Arten. Poptella fuscata ist bislang aus dem oberen Amazonas in Peru und Brasilien bekannt, könnte aber durchaus noch weiter in Amazonien verbreitet sein. Zum jetzigen Zeitpunkt Alleinstellungsmerkmale der Art sind die Form der beiden Schulterflecken und die Tatsache, dass sie 11–12 geteilte Flossenstrahlen in der Rückenflosse besitzt. Beides passt zu den kürzlich importierten Tieren.
Diskussalmler sind eine sehr schöne Alternative zu Scheibensalmlern, wenn man nur über mittelgroße Aquarien verfügt, denn sie werden allgemein lediglich um 8 cm lang. Außerdem fressen diese Tiere nicht so radikal Pflanzen, wie das die Scheibensalmler tun. Nur sehr zarte Gewächse sind nicht vor ihnen sicher. Untereinander und gegen artfremde Fische sind Diskussalmler friedlich. Sie sind unbedingt in Gruppen zu pflegen, denn sie suchen gezielt die Gesellschaft von Artgenossen.
von Frank Schäfer
Abgetaucht …?
Ein Kommentar von Sebastian Wolf
Am 26.10.2021 brachte der Bundesrat eine Empfehlung heraus (Änderungsantrag 697/1/21; siehe auch vda-online.de und bna-ev.de für weitere Infos), einem Antrag des Landes Schleswig-Holstein entstammend. Diese Empfehlung sah „ein grundsätzlich umfassendes Verbot von Importen freilebender Wildtiere“ vor. Die Begründung erfolgte nicht nur mit der immer gleichen, fachlich falschen Leier über „schwierige Anforderungen an eine artgerechte Haltung“, nein, offenbar nutzte man die Pandemie nunmehr auch als Hilfsmittel, um die ganz schweren Geschütze aufzufahren und unser aller Wohlbefinden betreffende Argumente zu finden. Denn es geht um nichts Geringeres als die „Gefährdungen des Menschen (unmittelbar und mittelbar)“, weil: „Durch die Möglichkeit des Imports von Wildfängen aus Drittstaaten steigt die Gefahr weiterer Zoonosen, zum einen durch den dadurch geschaffenen Anreiz, die Tiere aus ihren natürlichen Habitaten zu entnehmen und damit potentiell infektiöse Mensch-Wildtier-Kontakte in Kauf zu nehmen, zum anderen durch den dadurch bewirkten legalen Transport über weite Strecken, die Einfuhr und den Handel mit den entnommenen potentiell infektiösen Tieren.“ Der Rest der Menschheit muss also vor uns Vivarianern beschützt werden, nicht, dass die nächste Pandemie ansonsten auf unser Konto geht. Bisher war ich der abstrusen wissenschaftlichen Ansicht, vor allem Lebensraumzerstörung und -fragmentierung, Essgewohnheiten und die Hypermobilität unserer Zeit schaffen erst gute Konditionen für Viren et al. (und auch die Forschung an diesen birgt grundsätzlich ein gewisses Risiko) – zum Glück weiß die Politik es wieder einmal besser.
Aber davon einmal abgesehen: Es ist wohlgemerkt von Zoonosen, nicht von seuchenartig verlaufenden Zoonosen die Rede. Würde man die Begründung(en) also weiterdenken, wäre dann nicht ein generelles Haustier-Verbot konsequenter? Möglicherweise sind nicht nur frisch importierte Panzerwelslein eine Gefahr für Leib und Leben, sondern z. B. auch Nachbars Mieze, Stichwort: Toxoplasmose. Und so, wie unsere freiheitlich veranlagten Fellträger in den Eingeweiden ihrer Wildtier-Beute wühlen, wer weiß, was sie dabei noch alles an weiteren Erregern aufnehmen … Ferner stellt mit dieser Zoonose-Argumentation prinzipiell jede Handlung, bei der Menschen in Kontakt mit Tieren oder deren Hinterlassenschaften geraten können, eine Gefahr dar. Warum deshalb noch kein Berufspolitiker darauf gekommen ist, Waldspaziergänge zu verbieten, ist mir ein Rätsel. Andererseits: Diese spezialisierte Verbots-Meierei ist irgendwie auch erstaunlich, da man es in der autochthonen Legislative eigentlich gar nicht so sehr mit Einschränkungen hat (Tempolimit? Um Himmels willen! Das ginge nun wirklich zu weit).
Der Änderungsantrag war für die Bundesrats-Mitglieder nicht mehrheitsfähig. Trotzdem hinterlässt auch diese Geschichte ein flaues Gefühl, ein erleichtertes Aufatmen blieb weitgehend aus. In vielen Jahrzehnten wurden in der DATZ neu eingeführte Arten vorgestellt, zuletzt in der Rubrik „Aufgetaucht“. Die neu eingeführten Taxa waren häufig Wildfänge. Wenn diesen etwas immer Verruchteres anhaftet, sollte man sich nicht auch anpassen? Vielleicht stellen wir zukünftig besser das Baumarkt-Fischsortiment in wiederholender Abfolge vor und nennen unser „Aufgetaucht“ ab dann „Immer da“.
Witzig ist das alles schon länger nicht mehr. Die schärfsten Kritiker von Aquaristik & Terraristik würden (käme eines Tages tatsächlich ein umfassendes Wildfang-Einfuhr-Verbot) wohl kaum ihren Frieden mit diesen Heimtiersparten machen und eine „bereinigte“ Vivaristik in welcher Form auch immer fördern. Sondern eher weiter daran arbeiten, beide ganz abzuschaffen. Diesen Eindruck wird man zumindest nicht los, auch wenn von Politikerseite aus beteuert wird, dass niemand die Absicht hat …
Es kann einem angst und bange werden, wenn man daran denkt, was den (an derartigen Verbotsvorschlägen) Beteiligten als Nächstes im Kopf herumspukt. Prosit, 2022!
Sinibotia robusta
Unsere Rubrik „Aufgetaucht“ behandelt dieses Mal einen Bodenbewohner mit Bezug zum Titelthema: Vertreter der aus sieben Arten bestehenden Schmerlengattung Sinibotia trifft man heutzutage selten im Handel an, dabei wären sie eine Bereicherung – nicht zu groß, nett gefärbt und unkompliziert zu halten, Frischwasser ist wichtig, eine Heizung überflüssig. Sie stammen halt aus Fernost (der wissenschaftliche Gattungsname deutet es an) und nicht aus Südostasien oder Indonesien, was die geringe Verfügbarkeit erklären dürfte. Das abgebildete Tier von Sinibotia robusta entdeckte ich in einem Fachgeschäft in einer Gruppe Botia histrionica. Von den Vertretern dieser Gattung lässt sich Sinibotia bei genauem Hinsehen dadurch unterscheiden, dass sie nur sechs Barteln – zwei Paare am Ober-, ein Paar am Unterkiefer – besitzt (Botia hat vier Paare).
Sinobotia robusta stammt aus dem südlichen China und ist verhältnismäßig hochrückig im Habitus. Definierend sind zudem die Musterung der Schwanzflosse (die schwarzen Streifen entlang der Außenränder formen eine Pfeilspitze bzw. ein sehr breites V, was auf dem Bild aber nur ansatzwesie erkennbar ist) und die senkrechte, dunkle Querbänderung des quittengelben Körpers. Diese löst sich während des Wachstums in der Mitte jedes Bandes von der Bauchseite aus beginnend auf, wodurch die Bänder zweigeteilt werden.
Mein einzelnes Exemplar hat sich in einer diversen Schmerlen- und Barbengemeinschaft von Anfang an wohl gefühlt und absolut friedlich verhalten. Es kommt auf eine Länge von gerade einmal 10 cm, in der Literatur werden teils an die 20 cm angegeben. Die Schneckenvertilgungs-Qualitäten sind beachtlich, innerhalb der ersten vier Wochen zählte ich mehr als 200 leere Posthornschneckengehäuse.
von Sebastian Wolf