Buchbesprechungen
Spannende Insekten
Suárez, Holger & Grumt: (2019): 111 Insekten die täglich unsere Welt retten. – Emons, Köln, 240 S. Taschenbuch; ISBN 978-3-7408 0628-6; 16,95 €
Stellvertretend für die Gesamtheit aller Insekten haben die Autoren 111 Arten ausgewählt, beginnend mit der Ackerhummel und endend mit dem Zweiundzwanzigpunkt. Die Anzahl der in alphabetischer Reihenfolge aufgelisteten Insektenarten ist wohl dem Umstand geschuldet, dass im selben Verlag eine ganze Reihe weiterer Bücher erschienen ist, die alle die Zahl „111“ im Titel tragen.
Jedem behandelten Insekt wird eine Doppelseite zuteil, auf der einerseits eine seitengroße Abbildung mit eingefügtem kurzen Steckbrief dargestellt ist. Andererseits vermittelt der ebenfalls eine Buchseite umfassende zugehörige Text, welche Kriterien für die Auswahl gerade dieses Insekts berücksichtigt wurden, also dessen Bedeutung im Ökosystem und für den Menschen.
Die Nahrungsnetze in den allermeisten Biotopen sind schlichtweg ohne Insekten nicht vorstellbar. An vielen Beispielen werden diese Zusammenhänge gut verständlich beschrieben, was etwa beim von Landwirten so gefürchteten Kartoffelkäfer zunächst überraschend klingen mag. Aber genau dieses Konzept ist den Autoren anzurechnen, die versuchen, der gängigen Einordnung in „ausschließlich gut oder schlecht“ etwas entgegenzusetzen. Bei den Parasiten des Menschen wie Kopflaus und Menschenfloh können dann allerdings nur noch vage Vermutungen für deren Bedeutung als „weltrettende“ Insekten herhalten, nämlich die mutmaßliche Rolle, die sie dabei spielen, das Immunsystem zu fordern.
Die Textbeschreibungen sind stellenweise aus der Sicht des Insekts gehalten, was natürlich unweigerlich zu Vermenschlichungen führt. Zwei Beispiele: „Nur weil wir (Bernstein-Waldschabe) ein paar Familienmitglieder haben, die sich danebenbenehmen, heißt das nicht gleich, dass ihr alle Schaben über einen Kamm scheren dürft. Schämt euch!“ Oder: „Blattläuse fürchten sich fürchterlich vor der Holzwespen-Schlupfwespe!“ Dieser Schreibstil erscheint etwas flapsig, sollte aber nicht abschrecken in Anbetracht der vielen, auch überraschenden Informationen, die im Text eingestreut sind. Sicherlich lässt sich über den reißerischen Titel hinwegsehen, wenn er dabei hilft, die Aufmerksamkeit auch weniger natur- und insektenaffiner Menschen auf sich zu lenken.
Richard Wolf
Faszinierende Kopffüßer
Hanlon, Roger, Mike Vecchione & Louise Allcock (2019): Octopus & Co. Die faszinierende Welt der Tintenfische, Kraken und Kalmare. – Delius Klasing, Bielefeld, 224 Seiten, 254 Abbildungen, gebunden; ISBN 978-3-667-11577-5; 29,90 €
Fertig zum Abtauchen? Schon mit seiner Aufmachung ist das Buch eine Einladung zu einer Reise in die Meerestiefen, ein Versprechen der Begegnung mit Lebewesen, die zu den spannendsten und überraschendsten Meeresbewohnern gehören.
„Diese Tiere lassen einen nicht mehr los“, so prophezeit das Buch, nicht ohne Grund: Fantastische Unterwasser-Aufnahmen der Kopffüßer begeistern spontan und entführen in eine Welt, die zunächst irreal erscheint. Ästhetische Wesen, farbig, mit Saugnäpfen, die wie Zierleisten aussehen, Wesen, deren acht bis zehn Arme direkt dem Kopf entspringen und die geschmeidig und in weichen Bewegungen in den Tiefen zu schweben scheinen – hier werden Bilder fast lebendig.
Und manchmal muss man sich fragen: Ist es tatsächlich ein Foto oder vielleicht doch ein Gemälde? Kann ein Tier, das in rund 1.000 m Tiefe lebt, wie der Vampir-Tintenfisch mit seinen großen Augen, so bezaubern? Der „einzige Überlebende einer Tiergruppe, die im Jura und in der Kreide eine große Vielfalt erreichte“ ist er, Leuchtorgane besitzt er, die vermutlich der Kommunikation dienen, und Wolken aus Leuchtpartikeln kann er ausstoßen. Was immer es sei, so schreiben die Autoren, Wachstum, Fähigkeiten, Gehirn, Lebensweise und Herkunft, diese wirbellosen Lebewesen von klein bis riesig, von kurz bis meterlang, sie „sind gänzlich anders als alle anderen Tierklassen“ und sie leben „in allen Meeren der Erde von der Arktis bis zur Antarktis.“ Neugierig geworden?
Es können Riesen sein, wie der Riesenkalmar, dessen Mantel schon 2 m Länge aufweist. Mit komplett ausgestreckten Tentakeln kann er es bei 900 kg Gewicht auf bis zu gut 12 m Länge bringen, spektakulär! Aber es gibt auch die Kleinen, den Sternsaugnapf-Zwergkraken beispielsweise mit insgesamt 5 cm Länge. Viele, viele Vertreter dieser Tiere werden mit Steckbrief und Fotografien porträtiert. Die variantenreiche Geschichte der Kopffüßer, sie reicht Millionen von Jahren zurück in der Evolutionsgeschichte.
Womit diese Tiere, abgesehen von ihrer Farbigkeit und der Eleganz ihrer Bewegungen, am stärksten faszinieren, das ist ihr großes Gehirn mit Millionen winziger Nervenzellen. Ihre besonderen Fähigkeiten, das schnelle Lernen, die Orientierung, das Begutachten von Feinden, Nahrung und Partner, ihr räumliches Gedächtnis, all das macht sie zu den „intelligentesten Wirbellosen“ und zu „Weltmeistern der Tarnung“, sogar bei der Paarung. Hier leisten die Tiere Bemerkenswertes: „Ein Männchen kann zum Gegner hin ein abwehrendes silbriges Muster zeigen und gleichzeitig auf der anderen Körperseite zum Weibchen hin die braune Balzfärbung.“
Spannend wird es in dem Kapitel, das sich der Intelligenz dieser Organismen widmet. „Kopffüßer zeigen viele Fähigkeiten, die wir bei Vögeln, Nagetieren oder Hunden mit Cleverness oder Intelligenz gleichsetzen.“ Aktuell, so die Autoren des umfassenden Buchs, sei erneut ein großes Interesse an Lernfähigkeiten und Gedächtnis von Kopffüßern aufgeflammt. Letztlich ist es ja nicht nur die Erforschung, die DNA-Erkundung von Octopus & Co, sondern es ist menschliche Neugier für neue Technologien, die man sich bei den geheimnisvollen Meeresbewohnern abschauen möchte: „Es werden sogar Roboter mit flexiblen Armen entwickelt, die auf der Struktur von Krakenarmen basieren.“
Es ist Zeit, mit dem nicht immer vorteilhaften Image der Kopffüßer aufzuräumen, denn spannender als Herkunft, Leben, Verhalten und Forschung rund um Tintenfische, Kraken und Kalmare könnte kein Krimi sein. Das zeigt das rundum informative und auch sehr sinnlich geschriebene Buch perfekt.
Barbara Wegmann
Forscher aus Leidenschaft
Von Richard Dawkins. Aus dem Amerikanischen („Science in the Soul“) übersetzt von Sebastian Vogel. 528 Seiten, gebunden. Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin, 2018. ISBN 978-3-843-71838-7. 24,99 €
Im vergangenen Herbst erschien eine Sammlung von 41 wissenschaftlichen Beiträgen verschiedenster Art – Essays, Vorträge, Briefe … – eines der führenden Intellektuellen unserer Zeit.Der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins ist naturwissenschaftlich interessierten Menschen wie den Lesern der DATZ vermutlich bekannt, sein Beitrag zum modernen Verständnis der Darwinschen Evolutionstheorie war gewaltig, sein Modell einer natürlichen Selektion auf der Ebene der Gene revolutionär.
Nebenbei führte er im selben Buch („Das egoistische Gen“) den Begriff „Mem“ als kulturelles Äquivalent zum biologischen Gen ein. Und nun wuseln „Memes“ durch alle sozialen Internetportale und Messenger: Bilder mit einem kurzen Text, die sich rasch verbreiten. Das ist zwar nicht genau das, was Dawkins gemeint hatte, aber ganz unpassend ist die Bezeichnung nicht.
Allerdings, und das veranschaulicht das vorliegende Buch hervorragend, gehen Dawkins’ Interessen weit über die Evolutionsbiologie hinaus. Im Grunde ist es, wie sein restliches Schaffen auch, ein einziges großes Plädoyer für die Vernunft. Ausgehend von einer einzigen Prämisse – dass vernünftiges, (natur)wissenschaftliches Denken der beste und einzig sinnvolle Weg zu Erkenntnis und berechtigten Überzeugungen ist –, widmet er sich einer Vielzahl verschiedenster Themen und kann, dank seiner Begeisterung für den Skeptizismus, zu allen etwas Gehaltvolles sagen.
Man muss nicht immer einverstanden sein, aber jede Schlussfolgerung ist in sich logisch schlüssig und so voller Elan formuliert, dass es ein Vergnügen ist, sie nachzuvollziehen.
Hilfreich bei der Lektüre ist es allerdings, wenn der Leser besagter Prämisse zustimmt, also verstanden hat, dass Wahrheit einen Wert an sich besitzt. Mit der Einführung in diese Perspektive beginnt das Buch.
Unter der Überschrift „Wert(e) der Wissenschaft“ erklärt Dawkins, warum Naturwissenschaft unabhängig von irgendwelchen Glaubenssystemen, also unverfälscht, betrieben werden muss und warum jeder seriöse Wissenschaftler in der ständigen Demut und Gewissheit arbeiten muss, seine komplette Arbeit samt allen Theorien und Überzeugungen, die er bisher vertrat, radikal über den Haufen werfen zu müssen, sobald es gute Gründe dafür gibt.
Und so sehr Dawkins gute Gründe liebt, verabscheut er schlechte, beispielsweise die Behauptungen irgendwelcher wissenschaftsfeindlichen Scharlatane. In Deutschland spitzt sich die Debatte um Sinn und Unsinn von Homöopathie zurzeit etwas zu, und das ist gut so, weil der Unfug dieser Pseudomedizin ja ziemlich offensichtlich ist und sowohl rational als auch empirisch oft genug als solcher enttarnt wurde. Eine erfreuliche Entwicklung also, aber noch schöner wäre es, ginge Dawkins’ Wunsch in Erfüllung: „Meine Werte mögen verschroben sein, aber ich würde es begrüßen, wenn die Natur vor Gericht ebenso vertreten würde wie ein misshandeltes Kind.“
Wie vehement er für seine Werte eintritt, verdeutlicht ein weiterer Beitrag im ersten Teil ein offener Brief an Prinz Charles, der bei einer Vorlesung die wagemutige Gewichtung von Intuition über wissenschaftliche Erkenntnisse postuliert hatte. Dawkins weist ihn in einer Mischung aus elegantem Respekt („Königliche Hoheit, Ihre Reith-Vorlesung hat mich betrübt.“) und recht deutlichen Worten („Natürlich sollen wir einen offenen Geist haben, aber er soll nicht so offen sein, dass das Gehirn heraustropft.“) darauf hin, dass Intuition niemals so verlässliche Ergebnisse liefern könne wie die Wissenschaft und außerdem per definitionem subjektiv ist: „Aber wie steht es mit der instinktiven Weisheit im schwarzen Herzen von Saddam Hussein? Was zeichnete den wagnerianischen Wind aus, der durch Hitlers verbogene Zweige wehte?“
Gerade bei wichtigen Entscheidungen, etwa politischen oder ökologischen, komme es darauf an, „lieber nicht [zu] fühlen, sondern [zu] denken. Und denken heißt hier wissenschaftlich denken. Eine leistungsfähigere Methode gibt es nicht. Gäbe es sie, die Wissenschaft würde sie übernehmen.“
Dieser Brief, gerade wenn man oben genannte Prämisse teilt, ist einer von vielen Beweisen in dem Buch da-für, dass wissenschaftliches Denken kein bisschen trocken sein muss. Dawkins’ Enthusiasmus ist so ansteckend und begeisternd, klug, britisch und zuweilen lustig, dass man sich wünscht, John Cleese würde eine Hörbuchversion aufnehmen.
Die weiteren Kapitel decken so unterschiedliche Themen ab wie Feuerwerksverbote, das US-amerikanische Justizsystem, den Umgang mit Tieren, natürlich Evolutionsbiologie, persönliche Erinnerungen an Freunde und Familienmitglieder und – das darf bei Dawkins nicht fehlen, ist es doch neben der Biologie das zweite große Gebiet, in dem er Bestseller veröffentlichte – Religionskritik.
Seine Einstellung zu irrationalen Glaubenssystemen, egal wie kulturell anerkannt sie sind, wird bereits in der Überschrift deutlich: „Denkverbote, dummes Zeug und Durcheinander“. Auch hier findet sich ein offener Brief an einen hochkarätigen Politiker, es gibt aber auch kluge philosophische und soziologische Überlegungen zur Religion.
Höhepunkt von und Beweis für Dawkins’ Schlagfertigkeit ist allerdings die Mitschrift eines Vortrags in Alabama. In den USA gelingt leider immer noch sehr vielen Menschen das kognitive Kunststück, im 21. Jahrhundert an die Schöpfungsgeschichte zu glauben.
Mitte der 1990er-Jahre sollte Dawkins in diesem Staat einen Vortrag halten, bekam aber unmittelbar vor Beginn einen Zettel, der damals auf Anweisung des Bundesstaates in alle an staatlichen Schulen verwendeten Schulbücher gelegt werden musste. Ziel dieses Einlegeblatts war es, den Kreationismus im Biologieunterricht zu vermitteln und gleichzeitig die Evolutionstheorie zu diskreditieren. Spontan entschied sich Dawkins dazu, seinen vorbereiteten Vortrag nicht zu halten, sondern stattdessen die Behauptungen des Zettels der Reihe nach zu kritisieren, als sei er ein Anwalt und verteidige
vor Gericht die Natur.
Das Buch versteht sich aber nicht, das darf nicht falsch gesehen werden, als „Best of“, sondern als Sammlung rückblickender Ergänzungen. Dennoch ist es sowohl für Dawkins-Neulinge als auch Kenner sehr empfehlenswert.
Die einen erhalten einen umfassenden Einblick in sein facettenreiches Denken und können dann, bei Bedarf, tiefer in die Materie eintauchen und je nach Interessens-gebiet seine Monografien zu Evolutionsbiologie, Naturwissenschaft im Allgemeinen oder Religionskritik lesen.
Den anderen werden zwar einige der formulierten Gedanken bekannt vorkommen, der Großteil beleuchtet aber weitere Aspekte oder ganz neue Themen, die in den bisherigen Büchern nicht behandelt wurden.
Eine Kaufempfehlung ist also ganz natürlich, in sich logisch schlüssig und hätte vor Gericht selbst beim unerbittlichsten Richter Bestand.
Arne Stawikowski
Aquarienpflanzen. 500 Arten im Porträt
Von Christel Kasselmann. Vierte, erweiterte Auflage. 640 Seiten, 830 Farbfotos, acht Zeichnungen, elf Tabellen, gebunden. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 2019. ISBN 978-3-8186-0699-2. 69,95 €
Als ich die Neuauflage von Christel Kasselmanns „Aquarienpflanzen“ zum ersten Mal in der Hand hielt, war ich beeindruckt von der großen Zahl der behandelten Arten. Auf 480 Seiten des 640 Seiten starken Werks werden nicht weniger als 500 Wasserpflanzenarten in alphabetischer Folge aufgeführt, in brillanten Fotos abgebildet und in einem sinnvoll gegliederten, verständlich formulierten Text erläutert.
Zu Beginn erklärt die Autorin in mehreren Kapiteln Grundlegendes über Wasserpflanzen: die ökologischen Faktoren an den Standorten wie Temperatur und Licht, Bodengrund, Gewässertypen und Wasserwerte.
Allgemeines zum Aufbau, zur Vermehrung und zur Anzucht von Pflanzen schließt sich an. Kasselmanns Ausführungen sind so gründlich und fundiert, dass ihr Buch sowohl als Lehr- wie auch als Nachschlagewerk für botanische Gärten und Gärtnereien zu empfehlen ist.
Die Beschreibungen von nicht weniger als 78 Lebensräumen füllen allein 34 Seiten des Buchs. Hier werden die geologischen, physikalischen und chemischen Merkmale der Gewässer sowie ihre saisonalen Veränderungen geschildert.
Die Schwankungen des Wasserstands, die zu Überschwemmungen und trockenen Phasen führen, verlangen von vielen Pflanzen besondere Anpassungen, etwa die Ausbildung fein gegliederter Blätter unter Wasser, aber robusten Laubs für die terrestrische Lebensphase. So trägt beispielsweise der Hornfarn (Ceratopteris) submers aufgefächerte, schmale Blätter, um den Stoffaustausch im Wasser zu begünstigen. Bei sinkendem Pegel bilden sich runde, längliche Strukturen, die die Verdunstung herabsetzen.
Andere Anpassungen sind bei starker Strömung oder kräftigem Wellengang erforderlich, Bedingungen, unter denen die Pflanzen besonders stabil sein müssen.
Manche Arten weisen gleichzeitig Merkmale auf, wie sie für submerse und für emerse Pflanzen charakteristisch sind. So sind die Blätter der Seerosen an ihrer Unterseite an aquatische Bedingungen angepasst, sodass sie Nährstoffe aus dem Wasser aufnehmen können, auf der Oberseite hingegen mit einer Cuticula vor Verdunstung geschützt.
Schwimmpflanzen wie Azolla- oder Salvinia-Arten verfügen über lufthaltige Schwimmzellen, sodass sie atmosphärischen Gaswechsel treiben und dem Wasser mit bestimmten Organen mineralische Nährstoffe entnehmen können.
Zu diesen Themen gibt es in Kasselmanns Buch viele weitere Beispiele, und manchen Leser wird es wundern, dass viele Aquarienpflanzen sowohl submerse als auch emerse Lebensformen bilden, obwohl sie meist nur untergetaucht zu sehen sind.
Damit der Lesefluss nicht durch die Aufzählung der einzelnen Wasserparameter beeinträchtigt wird, gibt es zu jedem Standort im letzten Teil des Buchs eine ausführliche Tabelle (Kapitel „Service“).
Im Vergleich zu den Bedingungen an den natürlichen Standorten werden Licht und Lichtdauer, Wassertemperatur und pH-Wert, Nährstoffe, Wasserbewegung, Sauerstoffgehalt und weitere Faktoren im Aquarium beschrieben.
Beim Thema „Beleuchtung“ geht die Autorin sowohl auf die einzelnen Leuchtmittel und ihre besonderen Lichtqualitäten ein als auch auf die Messung
des für die Pflanzen zur Fotosynthese nutzbaren Lichtes, ermittelt als par-Wert. Dabei ist neben der Beleuchtungsstärke die Beleuchtungsdauer von Bedeutung.
Physiologische Aspekte wie Wasserchemismus und Bodengrund kommen ebenfalls nicht zu kurz. Hier findet der Leser weitere hilfreiche Hinweise für die eigene Pflanzenkultur.
Da verschiedene Arten innerhalb einer Gattung sich in vegetativen Merkmalen, also in der Blattform, nur wenig unterscheiden, ist die Blütenform ein hilfreiches Kriterium zur Bestimmung und Abgrenzung. Deswegen wird der Blütenaufbau verschiedener Wasserpflanzen ausgiebig behandelt, unterstützt von anschaulichen Fotos und Zeichnungen.
Es folgt das interessante Thema der Pflanzenvermehrung über Samen, Stecklinge, Ableger, Teilungen, Brutknospen oder Knollen.
Neben der generativen und der vegetativen Vermehrung wird auch die Gewebekultur erwähnt, der ja viele Aquarienpflanzen entstammen. Gärtnereien mit der entsprechenden apparativen Ausrüstung und den notwendigen Kenntnissen können den Handel effektiv bedienen. Meist schneidet man aus den Wachstumszonen der Blätter kleine Stückchen heraus, die man auf einem Nähr-Gel auswachsen lässt. Das muss steril erfolgen, und die Nährmedien müssen die richtige Zusammensetzung an Mineralien, Vitaminen und Wachstumshormonen haben.
Vor den Steckbriefen der einzelnen Arten stellt Kasselmann für Anfänger eine Reihe einfach zu pflegender Arten mit einer übersichtlichen Tabelle zum Pflegeaufwand vor.
Der alphabetische Teil der Einzelbeschreibungen umfasst 480 Seiten. Von den Wasserähren (Aponogeton) werden sicher ein paar allgemein bekannt sein, aber insgesamt 41 Arten sind doch eine beeindruckende Zahl; auf Fotos ist der Habitus jeder einzelnen Spezies dargestellt. Neben den vegetativen Merkmalen sind oft die Blüten oder die Blütenstände ein wichtiges Bestimmungsmerkmal.
Eine weitere bekannte umfangreiche Gattung ist Cryptocoryne. Neben reinen Arten gibt es in der Natur auch Hybriden. Eine Tabelle mit 69 Wasserkelcharten veranschaulicht die Vielfalt und die Kreuzungsmöglichkeiten dieser populären Pflanzen, denen 50 Seiten des Buchs gewidmet sind. Eine nicht minder beliebte Gruppe sind die Schwertpflanzen (Echinodorus), ihnen gehören 57 Seiten.
Neben diesen drei artenreichen Gattungen gibt es aber noch viele weitere Genera und Spezies, die den Botaniker und den Aquarianer ebenso interessieren.
Mit der übersichtlichen Gliederung, dem professionelle Layout und der Fülle an Artbeschreibungen ist das Buch eine Fundgrube mit wertvollen Informationen für den Leser. Die Fotos zu den beschriebenen Arten sind wichtige Elemente bei der Bestimmung. Die alphabetische Darstellung macht die Lektüre übersichtlich und erleichtert das Auffinden der gesuchten Pflanze.
Der Service-Teil bietet weitere nützliche Informationen. Eine Tabelle führt für nicht weniger als 174 Arten die Mindest-, Optimal- und Maximaltemperaturen auf (und belegt die Erfahrungen der Autorin mit der praktischen Kultur von Aquarienpflanzen).
Eine weitere Tabelle beschreibt den Lichtumfang, innerhalb dessen die einzelnen Arten gehalten werden oder gedeihen können. Zu den 78 anfangs vorgestellten Fundorttypen gibt es jeweils 23 Parameter, die unter anderem die Wetterverhältnisse, die Wasserwerte, den Bodengrund und die Chemie der Standorte betreffen.
Ob Ökologie, Kultur oder Artbestimmung – in jeder Hinsicht ist Kasselmanns Buch ein exzellentes Nachschlagewerk für Botaniker und botanisch interessierte Aquarianer, ein Standardwerk eben!
Ingo Botho Reize
Natur aus den Fugen? Die Verbreitung invasiver Arten. Gefahr & Chance
Von Atlant Bieri. 240 Seiten, Klappenbroschur. Orell Füssli Verlag, Zürich, 2018. ISBN 978-3-280-05680-6. 20 €
Im Prolog beschreibt der Autor, welche Pflanzen im Garten seiner Eltern standen: Götterbaum (Ailanthus altissima), Robinie (Robinia pseudoacacia), Drüsiges Springkraut (Impatiens glandulifera), Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum) und Kirschlorbeer (Prunus laurocerasus).
Das war vor 30 Jahren. Damals wurde das bewundert, und im Kirschlorbeer konnte man sich gut verstecken. Diese Pflanzen sind invasive Arten, die von anderen Kontinenten eingeschleppt wurden und heimische verdrängen.
Das erste Kapitel führt den Leser an das Thema heran. Zu den invasiven Arten gehören neben Tieren und Pflanzen auch Pilze und Krankheitserreger. Die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus gilt als „Stich-Datum“: Als Neobiota (gebietsfremde Arten) bezeichnet man Tier- und Pflanzenarten, aber auch Pilze und Krankheitserreger, die seit dem Jahr 1492, etwa durch den verstärkten Güteraustausch, weltweit verbreitet werden. Begriffe wie „heimische“, „exotische“ und „invasive Arten“ sind auf einer Seite kurz und knapp erklärt.
Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Aufbau von Ökosystemen. In einem Gespräch mit Dennis Hansen (Zoologisches Museum der Universität Zürich) werden die grundlegenden Regeln erläutert: 1. Geben und Nehmen. 2. Anpassung. 3. Niemand ist Superman. 4. Jeder hat einen Feind. 5. Spezialisierung.
Das dritte Kapitel dreht sich um Tiere, Pflanzen, Pilze und Krankheiten, die Seefahrer in ferne Länder gebracht haben. Katzen, Ziegen, Schweine, Ratten und Mäuse sind bekannte Beispiele. Sie fanden in ihrer neuen Heimat keine Feinde, vermehrten sich und dezimierten die dort lebenden Arten.
Im vierten Kapitel erfährt der Leser, wie gefährlich eingeschleppte Pflanzen in ihrer neuen Umgebung sein können. Eukalyptus (Eucalyptus spp.) etwa brennt aufgrund seines Öls sehr gut, sodass gewaltige Waldbrände entstehen können – wie 2017 in Portugal.
Das fünfte Kapitel beschreibt Bedrohungen für Seen und Flüsse. Großer Höckerflohkrebs (Dikerogrammus villosus), Wandermuschel (Dreissena polymorpha) und Schwarzmaulgrundel (Neogobius melanostomus) sind Beispiele für Arten, die im Ballastwasser von Schiffen nach Westeuropa gelangten.
Im sechsten Kapitel geht der Autor auf Gefahren für die Meere ein. Auch hier ist es das Ballastwasser, das etwa den Nordpazifischen Seestern (Asterias amurensis) nach Südaustralien, Tasmanien und Neuseeland brachte, wo dieser Stachelhäuter aufgrund fehlender Feinde die autochthone Artenvielfalt bedroht.
Das siebte Kapitel schildert Medien, mit deren Hilfe invasive Arten reisen können. Gemüse, Früchte, Jungpflanzen, Schuhsohlen oder das Holz von Paletten gehören dazu.
Schäden in der Landwirtschaft, die eingeschleppte Pilzkrankheiten und Insekten wie die Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) aus Asien verursachen, sind das Thema des achten Kapitels.
Um Auswirkungen auf Gebäude geht es im neunten Kapitel. So untergruben Nutrias oder Biberratten (Myocastor coypus) in der Schweiz einen 450 Kilometer langen Kanal und richteten Schäden in Höhe von acht Millionen Franken an.
Waschbären (Procyon lotor) klettern in Häuser und zernagen alles, was ihnen zwischen die Zähne gerät. Auch invasive Insekten sind in der Lage, Immobilien nachhaltig zu beschädigen.
Mit der Gesundheit des Menschen befasst sich der Autor im zehnten Kapitel. Als Masern und Pocken in die Neue Welt eingeschleppt wurden, verfügte die dortige Bevölkerung über keine Abwehrkräfte. Und tropische Mückenarten übertragen Viren, die in Europa schwere Krankheiten auslösen.
Um die besonderen Lebensgemeinschaften auf Inseln geht es im elften Kapitel. Fehlen Feinde, die sich gegen Katzen, Ratten oder Mäuse zur Wehr setzen können, bedeutet das oft das Ende der dort vorkommenden endemischen Arten.
Das zwölfte Kapitel beschreibt, wie man gegen invasive Arten vorgehen kann und sollte: vorbeugen, damit sie gar nicht erst einwandern können; vollständig entfernen, sofern noch machbar; eindämmen, damit sie sich nicht weiter ausbreiten; Maßnahmen zur Anpassung treffen, um ein Nebeneinander mit heimischen Arten zu ermöglichen (was aber nur mit viel Mühe und hohen Kosten gelingt).
Um Kosten, die invasive Arten in den letzten Jahren weltweit verursacht haben, geht es im 13. Kapitel.
Das 14. Kapitel nennt Beispiele für typische Pro-und-Kontra-Situationen: Biberratten werden mancherorts von Menschen gefüttert, was die Tiere zutraulich macht und ihre Bekämpfung erschwert. Das Gleiche gilt
in Köln für die Halsbandsittiche (Psittacula krameri), deren Geschrei und Kot einfach nur stören. Der Schmetterlingsflieder (Buddleja davidii) zieht viele Bienen und Falter an, verdrängt aber heimische Pflanzenarten.
Im 15. Kapitel erfährt der Leser, wie einfach es ist, an Tier- und Pflanzenarten zu kommen, die nicht in unsere Natur gehören. Seit 2014 gibt es zwar die „Unionsliste“ (siehe DATZ 10/2017 und 1/2019), aber Händler durften die dort aufgeführten Tierarten noch ein ganzes Jahr lang weiter verkaufen.
Kapitel 16 erläutert invasive Exporte. So führten die Briten etwa den Rotfuchs (Vulpes vulpes) für ihre traditionelle Fuchsjagd in Australien ein, wo er der autochthonen Tierwelt großen Schaden zufügte.
Auch das 17. Kapitel bringt Beispiele für die gezielte Einfuhr von Arten in fremde Länder. So ist die Aga-Kröte (Rhinella marina) eine effiziente Insektenvertilgerin und wurde deshalb 1935 nach Queensland verbracht. Zwar fraß sie dort, was sie fressen sollte, aber ihre starken Hautgifte töteten Tiere, die wiederum sie erbeutet hatten.
Allerdings gibt es mitunter Arten, die sich an Neuankömmlinge anpassen und sie sogar zu nutzen lernen, wie der Leser in Kapitel 18 erfährt. So fanden die Krähen in Queensland heraus, wie sie an die genießbaren Teile der Aga-Kröte gelangen, um sie zu fressen. Solche Anpassungsprozesse verlaufen jedoch sehr langsam.
Dass sich ursprüngliche Schädlinge im Lauf der Zeit auch zu Nützlingen entwickeln können, zeigt das 19. Kapitel. Die Robinie ist mit Klee und Erbse (Familie der Hülsenfrüchtler, Fabaceae) verwandt. Ihre Wurzeln produzieren Dünger für andere Pflanzen, sodass man sie auf Böden ansiedeln kann, die keine Nährstoffe enthalten.
Das 20. Kapitel weist Wege in die Zukunft. Immer mehr Arten wandern rund um den Globus, folgen Touristenströmen und Warenverkehr. Daraus ergibt sich die wichtige Aufgabe, genauer hinzusehen, um zu erkennen, was in importiertem Holz versteckt sein könnte oder ob eingeführte Jungpflanzen wirklich frei von tierischen „Passagieren“ sind.
Atlant Bieri hat zu den behandelten Themen zahlreiche Gespräche geführt, Literatur- und Referenzverzeichnis zeigen es. Der Leser findet sehr ausführliche und gut verständliche Darstellungen der teils komplexen Sachverhalte. Das Buch hat mir viele neue Informationen zu invasiven Arten gegeben, ich gönne ihm und seinem Verfasser ein lebhaftes Feedback.
Das Einzige, was ich mir noch gewünscht hätte, wäre ein Stichwortverzeichnis gewesen, um schnell und gezielt zu den einzelnen Aspekten des Themas zu finden.
Elfriede Ehlers